Erklärungen
über Verant-
wortlichkeit
264 „ZU NERVÖS OBEN UND UNTEN!“
halten, die nur die Aufgabe habe, unsere überseeischen Interessen zu
schützen und unsere Küsten zu verteidigen. König Eduard VII. widmete
ich achtungsvolle und höfliche Worte. Ich konnte mit Recht feststellen,
daß die Beziehungen zwischen Rußland und Deutschland seit langem nicht
8o normal, so ruhig und so korrekt gewesen wären. Ich nahm auch die
Gelegenheit wahr, mit einigen Irrtümern und törichten Vorurteilen abzu-
rechnen, die bei uns immer wieder auftauchten. Den Kritikern, die mir in
der Presse meine übertriebene Liebenswürdigkeit vorwarfen, sagte ich,
daß die Urbanität, deren ich mich als Mensch und im persönlichen Verkehr
gern befleißige, nicht die einzige Richtschnur meiner politischen Tätigkeit
wäre. In der auswärtigen Politik schließe die Höflichkeit die Festigkeit
nicht aus. Es komme darauf an, die eine wie die andere Eigenschaft im
richtigen Moment zur Anwendung zu bringen. Es war in dieser Rede, daß
ich das Wort vom „mißverstandenen Bismarck“ prägte, das meinem
damaligen Pressechef, dem Geheimen Rat Hammann, den Titel für eines
seiner politischen Bücher lieferte, die wenig gründlich, nicht immer wahr-
heitsgetreu, aber flüssig und ganz unterhaltend geschrieben sind. Mit Nach-
druck warnte ich in meiner Rede am 14. November 1906 vor Nervosität.
„Wir sind alle in Deutschland zu nervös geworden, rechts und links, oben
und unten.“ Als mich die Sozialisten nach diesem Satz unterbrachen,
wiederholte ich: „Das sagte ich ja eben: unten und oben!“ Ich erinnerte
daran, wie Fürst Bismarck in seiner letzten, unsterblichen Rede vom
6. Februar 1888 dargelegt hatte, daß während des ganzen neunzehnten
Jahrhunderts Koalitionen mit einer daraus resultierenden Kriegsgefahr
bestanden, immer Kriegswolken am politischen Horizont gestanden hätten,
und ich fuhr fort: „Es ist gut, alle Wetterzeichen am Horizont der aus-
wärtigen Politik zu beobachten und namentlich jedes Wetterleuchten.
Aber vor jedem Stirnrunzeln des Auslands zu erbeben, ist nicht die Art
großer Völker, und wir wollen und sollen ein großes Volk sein.“
Ich hatte über zwei Stunden gesprochen, unter sehr lebhaftem Beifall,
mußte aber in derselben Sitzung noch einmal das Wort ergreifen, um auf
Angriffe zu antworten, die von verschiedenen Seiten gegen das angebliche
persönliche Regiment des Kaisers, gegen Entgleisungen und Unvorsichtig-
keiten Seiner Majestät erhoben worden waren.* Ich hob die großen Eigen-
schaften, die starke Persönlichkeit, die reichen Gaben des Kaisers hervor,
seinen geraden Charakter, seinen klaren Kopf, sein Pflichtgefühl. Der
Kaiser habe die Verfassung stets gewissenhaft beobachtet. Das deutsche
Volk wolle keinen Schattenkaiser, es wolle einen Kaiser von Fleisch und
Blut. Ich entwickelte, daß es Sache des politischen Augenmaßes, des
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe II, 337; Reclam-Ausgabe IV, 148.