Etats- Debatte
282 DIE KONSERVATIV-LIBERALE PAARUNG
Jahre Matthias Erzberger und Hermann Paasche verbunden. Der letztere
legte in jenem Jahr 1907 eine unbegrenzte Schwärmerei für mich an den
Tag, flößte mir aber wenig Vertrauen ein. Ich habe schon früher erwähnen
müssen, daß er zu den sehr wenigen Volksvertretern gehörte, die bereits
vor dem Umsturz vom November 1918 ihre Eigenschaft als Abgeordnete
für persönliche Vorteile ausnützten. Paasche hatte einen Sohn, der bei der
Marine eingetreten war, dann sich in Ostafrika betätigt und über seine
Erlebnisse ein von Begeisterung für Kolonial- und Weltpolitik triefendes
Buch geschrieben und mir überreicht hatte. Der Vater fand den Sohn mit
dem für ihn von mir erwirkten preußischen Kronenorden vierter Klasse
mit Schwertern noch nicht genügend ausgezeichnet und drängte unab-
lässig, ihm noch eine bundesstaatliche Auszeichnung, womöglich einen
mecklenburgischen, also ganz feudalen Orden zu verschaffen. Derselbe
ordenslüsterne Hans Paasche schloß sich, ähnlich wie der älteste Sohn des
Professors Adolf Harnack, nach dem Fall der Monarchie sofort der sozial-
demokratischen Partei an und tat sich am 9. November 1918 durch be-
sondere Roheit gegenüber der schwergeprüften und schwerleidenden
Kaiserin hervor. Er hat später als Kommunist bei einem Krawall ein
trübes Ende gefunden. Ich erwähne auch solche an und für sich kleine Vor-
kommnisse, weil sie in mancher Hinsicht für die Psychologie revolutionärer
Zeiten und Persönlichkeiten bezeichnender sind als lange Betrachtungen.
Am 25. Februar 1907 begann im neuen Reichstag die erste Beratung des
Etats. Der Führer der Nationalliberalen, Ernst Bassermann, begrüßte
freudig die Erklärungen der Thronrede, insbesondere auch ihr klares und
rückhaltloses Bekenntnis zu den sozialen Verpflichtungen gegenüber den
arbeitenden Klassen und das Gelöbnis, alle verfassungsmäßigen Rechte
und Befugnisse, also auch das Reichstagswahlrecht, gewissenhaft zu achten.
Die Wahlen hätten — das wäre ihre eigentliche Signatur und ihre große
Bedeutung — den Nimbus der „unwidersteblichen“ Sozialdemokratie
zerstört. In meiner Antwort” erklärte ich zunächst mein im Wahlkampf
geprägtes Wort von der wünschenwerten Paarung von konservativem und
liberalem Geist. Alle wahrhaft fruchtbaren Epochen unserer inneren Ent-
wicklung wären zurückzuführen auf die richtige Mischung von konserva-
tivem und liberalem Geist. Der Paarung Roeren— Singer wäre ich allerdings
am 13. Dezember 1906 entgegengetreten. Ich hob die Verdienste der Zen-
trumspartei, mit deren Unterstützung ich lange Jahre regiert hätte, auf
vielen Gebieten dankbar hervor, fügte aber hinzu, daß ich mir die Tyrannei
keiner Partei gefallen ließe. Der Führer des Zentrums, Herr Spahn, der vor
mir zu Wort gekommen war, hatte mir vorgeworfen, daß ich die Zentrums-
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe III, 2; Reclam-Ausgabe IV, 202,