EULENBURGS MEINEID 315
nung, im Laufe des Prozesses eine ihm selbst nützliche Erklärung abgeben
zu können. Der Angeklagte, ein verkommenes Subjekt, saß neben der
Bank, wo ich als Kläger Platz zu nehmen hatte. Bei meiner Vernehmung
erklärte ich, daß die in Rede stehenden Verirrungen mir seit jeher nicht
nur in hohem Grade ekelhaft, sondern vollkommen unbegreiflich er-
schienen und gewesen wären. Ich fügte hinzu: „Diese meine eidliche Er-
klärung bezieht sich nicht nur auf Zuwiderhandlungen gegen den 8 175 des
Strafgesetzbuches, sondern auf alle und jede widernatürliche, anormale,
perverse Neigungen, Anlagen und Empfindungen in jeder Form und in
jedem Grade.“ Es ging eine starke Bewegung durch den gefüllten Saal,
als ich diese Erklärung abgab. Am Schluß meiner Vernechmung wies ich
darauf hin, daß dies der erste Prozeß sei, den ich in meinem Leben führe.
Ich hätte ihn angestrengt im Interesse der öffentlichen Reinlichkeit.
Gegenüber derartig niedrigen und sinnlosen Verleumdungen appellierte ich
an den Schutz der Gerichte und an die Strenge der Gesetze. Brand wurde
zum höchsten zulässigen Strafmaß, 11% Jahren Gefängnis, verurteilt.
Bevor seine Verurteilung erfolgte, hatte er einen förmlichen Widerruf ge-
leistet und seine Verleumdungen zurückgenommen mit dem Ausdruck des
Bedauerns, daß er sich getäuscht habe. Mit geradezu pathologischer Feier-
lichkeit fügte er hinzu, der einzige Lichtblick an diesem für ihn trüben Tage
sei gewesen, daß er den „edlen“ Fürsten Philipp Eulenburg erblickt habe.
Als meine Vernehmung beendigt war und ich entlassen wurde, erhoben sich
die Richter von ihren Sitzen und verneigten sich vor mir, mit den Richtern
alle im Saale Anwesenden.
Der unglückliche Fürst Eulenburg kam erst nach einiger Zeit dazu,
jenen Eid zu leisten, durch den er, allerdings von Harden und von den
Advokaten der Gegenpartei scharf bedrängt, eidlich bestritt, jemals wider-
natürliche Handlungen begangen zu haben. Als in dem bekannten Münche-
ner Prozeß im Frühjahr 1908 ein Starnberger Fischer zugab, mit Eulenburg
solche Verfehlungen begangen zu haben, wurde gegen den Fürsten in
Berlin ein Meineidsprozeß eingeleitet, der bekanntlich mit Rücksicht auf
seinen Gesundheitszustand nicht zu Ende geführt werden konnte und auch
nie wieder aufgenommen worden ist, weil Eulenburg stets erklärte, er sei
physisch noch nicht vernehmungsfähig. War er schuldig? Als ich einige
Jahre später in Berlin einem Herrn begegnete, der zu den Geschworenen
gehört hatte, vor denen das gegen Eulenburg eingeleitete Meineidsverfahren
behandelt wurde, sagte mir dieser: „Wir waren alle überzeugt, daß Fürst
Eulenburg schuldig wäre. Wir hätten ihn aber doch freigesprochen. Die
Sache lag weit zurück, und der alte Mann tat uns so leid.“