DIE SCHULDENWIRTSCHAFT 383
stellte einen deutschen Kürassier dar, mit blankem Pallasch und Helm,
aber in abgerissener Uniform, der einem hochmütig, mit abwehrender Geste
vorübergehenden Fremden bettelnd die Hand entgegenstreckt, ein Bild,
wie sich unsere Finanzlage und damit unsere Verteidigungsfähigkeit,
unsere Schlagfertigkeit in weiten Kreisen des Auslandes darstelle. Hier
liege eine Gefahr, und diese Gefahr zu überwinden, hänge ganz allein von
uns ab. Wir wollten und müßten diesmal ganze Arbeit tun. Kein Mensch
in der ganzen Welt zweifle daran, daß das deutsche Volk stark genug wäre,
die für eine gründliche Reichsfinanzreform erforderlichen Lasten zu tragen.
Jedermann wisse, daß in Deutschland jahraus, jahrein über drei Milliarden
in Bier, Wein und Branntwein versoffen würden, daß der Deutsche die
billigsten und preiswertesten Zigarren der Welt rauche. Der Tabak wäre
bei uns mit etwas über 11, Mark pro Kopf belastet, in Österreich mit fast
5 Mark, in Großbritannien mit über 6 Mark, in Frankreich gar mit fast
8 Mark! In Deutschland entfielen an Abgabe auf Bier auf den Kopf der
Bevölkerung kaum 11, Mark, in Großbritannien dagegen über 64, Mark!
An Branntweinsteuer betrüge die durchschnittliche Belastung auf den
Kopf bei uns etwas über 21, Mark, in Frankreich mehr als 61, Mark, in
Großbritannien 8%, Mark! Dabei nehme der Reichtum in Deutschland er-
freulicherweise gewaltig zu. Ich schätzte unseren jährlichen Zuwachs an
Nationalvermögen auf fast vier Milliarden Mark. Der Wert der Privatdepots
bei den Banken steige jährlich um 400 Millionen Mark. Allein in Börsen-
werten würden jährlich in Deutschland etwa drei Milliarden aufgenommen.
Dazu kämen 500 Millionen Mark Sparkassen-Neueinlagen und 225 Mil-
lionen Einlagen bei den Genossenschaftsbanken. Ein solches Land sei
nicht arm, ein solches Land könne im Interesse seines Ansehens, seiner
Sicherheit noch weit stärkere Lasten tragen. Das alles sche nicht nach
Bankrott aus, deute nicht auf Niedergang hin. Aber einen moralischen
Bankrott würden wir erleiden, wenn wir nicht endlich Wandel schafften
und mit der Schuldenwirtschaft brächen. Ich berief mich auf den mir
befreundeten freisinnigen Prorektor der Freiburger Universität, den Pro-
fessor von Schulze-Gävernitz, der kürzlich erklärt habe, daß die deutsche
Finanzmisere nicht auf mangelnder Steuerfähigkeit, sondern auf mangeln-
der Steuerwilligkeit beruhe. Ich berief mich auf meinen alten Gönner und
Freund, den Professor Adolf Wagner, der von deutscher „Steuerfilzigkeit“
und „Steuerknickrigkeit‘‘ gesprochen hätte.
Ich richtete an den Reichstag und über den Reichstag hinaus an das
deutsche Volk gleichzeitig eine ernste Mahnung zu größerer Sparsamkeit.
Ziemlich plötzlich reich geworden, glichen wir demjenigen Erben, der seine
Verhältnisse überschätze, sich nicht einzurichten verstehe und nun wahr-
nehme, daß er über sein Budget hinaus gelebt habe. „Wir waren zu lange