Bülow an
Tschirschky
398 WILHELMS II. ERHEITERT SICH
Ich war bei diesem Frühstück nicht zugegen. Iswolski sagte mir beim Ab-
schied: „Vous avez et@ charmant pour moi. Quant a Sa Majeste l’Empereur,
il s’est beaucoup €gaye& a mon sujet. J’ai eu l’honneur de lui servir de t&te
de turc.‘“ Ich hatte Seiner Majestät seit dem Beginn der bosnischen Krise
immer wiederholt, es käme darauf an, daß einerseits die Österreicher nicht
die Nerven verlören, sich andererseits aber auch nicht zu Schritten hin-
reißen ließen, die zu einem allgemeinen Krieg führen könnten.
Um der erstgenannten Gefahr vorzubeugen, richtete ich am 12. De-
zember 1908 einen Erlaß an den kaiserlichen Botschafter in Wien, Herrn
von Tschirschky, in dem ich die von englischer wie namentlich von russi-
scher Seite über die Möglichkeit und selbst Wahrscheinlichkeit eines
Krieges im kommenden Frühjahr verbreiteten Nachrichten als Einschüch-
terungsversuche bezeichnete. Nach unseren Nachrichten aus Rußland und
über Rußland denke dort trotz der gereizten Sprache des in seiner Eigen-
liebe gekränkten Iswolski kein ernster Staatsmann an Krieg. Wie ich aus
Paris, aus gut unterrichteten Bankkreisen, hörte, müsse Rußland spätestens
im Frühjahr größere Ansprüche an den europäischen Geldmarkt erheben.
Die Einlösung der in Frankreich placierten, im Mai fälligen Schatzbonds
lasse sich kaum länger verschieben. Das Defizit des außerordentlichen
Budgets, zirka hundertfünfzig Millionen Rubel, müsse gedeckt werden.
Über die dazu erforderliche Anleihe von einer Milliarde Mark sei ein Über-
einkommen zwischen Rußland und Frankreich im Prinzip fertig. Beide
Länder hätten daher alles Interesse, die vorhandene politische Spannung
beseitigt zu sehen. Gerade weilin Rußland an eine kriegerische Aktion zur
Zeit nicht ernstlich gedacht werde, sei Iswolski um so emsiger bemüht,
die Doppelmonarchie durch Kriegsfanfaren einzuschüchtern. Rebus sic
stantibus, sei Festigkeit für Österreich die richtige Politik. Andererseits
möge sich die österreichisch-ungarische Monarchie gegenüber der Türkei
namentlich in Geldfragen kulant zeigen. Sie werde auch sehr wohl daran
tun, durch eine geschickte und entgegenkommende Politik Bulgarien,
Rumänien und Griechenland auf ihre Seite zu ziehen. Österreich dürfe
weder die Türkei zu hart behandeln noch die Balkanstaaten vernach-
lässigen oder gar brüskieren. Österreich müsse Rumänien in den Handels-
vertragsverhandlungen entgegenkommen, es möge auch die Rumänen im
Bereich der Stefanskrone freundlicher behandeln. Griechenland könne auf
Albanien verwiesen werden. Natürlich müsse das Wiener Kabinett Italien
in Tripolis freie Hand lassen, da dort Italien wegen Ägyptens den Eng-
ändern, wegen Tunis den Franzosen nicht bequem wäre, österreichische
und deutsche Interessen aber in keiner Weise schädige. Bulgarien müsse
ebenso wie Rumänien von Österreich auch in der Form freundlich behandelt
werden. Ich schloß diesen Erlaß, den der Botschafter von Tschirschkv