Conrad will
losschlagen
404 DIE ZERSCHLAGENEN TÖPFE
Unterredung mit der Erklärung, daß die deutsch-russischen Beziehungen
dieselben blieben wie früher. Er sei mir dankbar für meine vermittelude
Haltung. Ich erfreute mich nach wie vor des Wohlwollens und des Ver-
trauens des Kaisers Nikolaus. „Vous avez la pleine confiance de l’Empereur
Nicolas qui sait ce que vous devez a l’alliance avec l’Autriche, mais qui sait
aussi que vous £tes l’ami de la Russie et un homme d’etat sage et babile.
Nous esperons tous que vous resterez encore longtemps ä la tete des af-
faires.‘“ Auf ein Album mit Ansichten meiner rönischen Villa Malta
deutend, das auf dem Tische lag, meinte Iswolski: „N’allez pas de sitöt
jouir de votre belle Villa. Restez a Berlin.“ Die letzten Worte, die ich in
meinem Leben an Iswolski gerichtet habe, waren: „Je vous le r&pete et le
Prince de Bismarck Il’a dit avant moi: Dieu seul sait, comment finirait
militairement une guerre entre les trois empires. Mai ce que l’homme
reflechi et prudent peut prevoir est ceci: Ce seront en-tout-cas, et quelle que
soit l’issue militaire du conflit, les trois dynasties qui payeront les pots
cass6s.‘“ Iswolski hat lange genug gelebt, um die Richtigkeit meiner Voraus-
sage am eigenen Leibe zu spüren. Er hat die Niederlage und den Sturz des
Zurismus mitansehen müssen, er hat erlebt, daß das alte, mächtige und
stolze Rußland in einem Meer von Blut und Tränen unterging. Er ist als
abgetakelter Botschafter krank und verbittert in einer ärmlichen Wohnung
in einer kleinen südlranzösischen Stadt gestorben, wo er von der franzö-
sischen Regierung eine bescheidene Unterstützung bezog, eine kärgliche
Belohnung für seine hetzerische Tätigkeit unmittelbar vor dem Weltkrieg
und im Welıkrieg, eine mehr als kärgliche Spende, verglichen mit den
Millionen, die während Jahrzehnte aus Rußland in die Taschen geld-
gieriger französischer Journalisten und Politiker geflossen waren.
Nachdem die von Norden drohende Kriegsgefahr beseitigt war, kam es
1909 darauf an, Wien zu zügeln. Es gab auch dort eine Kriegsgefahr. Ich
wußte sehr wohl, daß namentlich die österreichischen Generäle, ähnlich wie
in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre des verflossenen Jahrhunderts,
auch 1908/1909 zum Losschlagen drängten. Der Chef des österreichisch-
ungarischen Generalstabs, Freiherr Conrad von Hoetzendorf, warf mir
seit Jahren vor, daß ich den richtigen Moment zum Losschlagen verpaßte.
Denselben Vorwurf hatten die österreichischen Generäle zwanzig Jahre
früher dem Fürsten Bismarck gemacht. Freiherr von Hoetzendorf hatte es
namentlich auf Italien abgesehen, aber auch gegen Rußland wollte er los-
schlagen, natürlich erst recht gegen Serbien, das „gezüchtigt‘‘ werden müsse.
Seine Argumente waren die gleichen, die zwei Jahrzehnte früher in Berlin
Graf Alfred Waldersee in seinem Kampf gegen den Fürsten Bismarck vorge-
bracht hatte. Die Abrechnung mit Serbien, Italien, Rußland sei unver-
meidlich, predigte im Winter 1908/1909 der Freiberr Conrad von Hoetzen-