Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

414 SOLLTE DER KAISER ABDANKEN? 
auf diese Weise die Abdankung des Kaisers herbeizuführen, mit allen Mitteln 
und nötigenlalls mit Gewalt widersetzt haben. Ich glaube nicht, daß 
Kaiser Wilhelm II. 1908 zu einer freiwilligen Abdankung zu bewegen 
gewesen wäre, zumal einer solchen auch die Kaiserin mit allen einer Frau 
und namentlich einer so charaktervollen Frau zu Gebote stehenden Mitteln 
opponiert haben würde. Ich füge auch heute nach allem, was sich inzwischen 
ereignet hat, hinzu, daß die ungeheure Mehrheit des deutschen Volkes 1908 
nicht die Abdankung des Kaisers wollte. Die Nation würde einen Thron- 
verzicht nicht verstanden haben, Sie wollte die Monarchie, die so viel Ehre, 
Ruhm, Glück und Segen verkörperte und ohne jede Frage an und für sich 
für Deutschland nicht nur die geeignetste, sondern die einzig wirklich 
brauchbare Regierungsform war und bleibt. Ich sage das nicht aus vor- 
gefaßter Meinung. Ich sage es auch nicht als grundsätzlicher Anhänger der 
Lehre vom Gottesgnadentum und nun gar eines Gottesgnadentums im 
Sinne der Stuarts, der Bourbons und des letzten Welfenkönigs, sondern 
auf Grund meiner geschichtlichen Kenntnisse und Erfahrungen. Die Macht 
der Kaiseridee war in Deutschland so stark, daß die Nation dem Träger 
dieser Idee, wie sich nach glücklicher Beilegung der Novemberkrise zeigte, 
bald und gern verzich, was er gefehlt haben mochte. Wenn auf den Fürsten 
Felix Schwarzenberg hingewiesen worden ist, der 1848 Kaiser Ferdinand I. 
von Österreich zur Abdankung, dessen Bruder, den Erzherzog Franz Karl, 
zum Verzicht auf die Krone bewog und den achtzehnjährigen Erzherzog 
Franz Josef auf den Thron erhob, so halte ich dem entgegen, daß Wil- 
helm II. kein Trottel war wie Kaiser Ferdinand I. und der gute Erzherzog 
Franz Karl, sondern im Gegenteil bei manchen Mängeln und Schwächen 
ein ungewöhnlich begabter Mann. Wir befanden uns 1908 auch nicht, 
wie 1848 die österreichische Monarchie, im Bürgerkrieg, im Kampf mit 
aufständischen Provinzen und im Krieg mit einem Nachbarstaat. Die 
deutschen Fürsten und das deutsche Volk wollten im Spätherbst 1908 
lediglich ein verständigeres und vorsichtigeres Verhalten des Reichs- 
oberhaupts, mehr Selbstbeherrschung und mehr Ruhe. Die Novemberkrisis 
blieb auch nicht ohne nützliche Wirkung auf den Hauptleidtragenden. 
Wenn nicht im Unglückssommer 1914 die ganze Welt, und leider 
Deutschland in erster Linie, durch einen selten oder nie dagewesenen 
Mangel an Scharfblick, Klugheit, Gewandtheit in die schlimmste Kata- 
strophe vieler Jahrhunderte hineingesegelt wäre, hätte Wilhelm II. sich 
noch viele Jahre in Ehren auf dem Thron bebaupten können. Einer 
Belastungsprobe, wie sie der Weltkrieg mit sich brachte, war er persönlich 
nicht gewachsen. Da er, unfähig, selbst das Schiff im Sturm zu führen, 
auch nicht für brauchbare Männer am Steuerruder sorgte, so scheiterte 
unser gutes Schiff.
	        
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