GEHEIMHALTUNG 419
sich im Vergleich zu der englischen in den bescheidensten Grenzen. Gegen
die Nachlaßsteuer an und für sich werden in England kaum Einwendungen
erhoben. Es ist nur ihre exorbitante Höhe, welche hier beängstigt und den
Grundbesitz und damit den Einfluß der großen Familien, welche Englands
tüchtigste Staatsmänner geliefert haben, zu zerstückeln droht. Indirekte
Steuern ohne Konzessionen an den Schutzzoll können hier nicht mehr
stärker in Anspruch genommen werden, während wir fast noch jungfräu-
liche Steuerobjekte in Bier, Tabak und Wein besitzen. Ihr Programm, die
breiten Schultern der Mehrheit durch indirekte Steuern an der allgemeinen
Last mittragen zu lassen, anstatt sie allein den chosen few durch direkte
Steuern aufzubürden, diese aber in einer mäßigen Nachlaßsteuer auch
heranzuziehen, beruht auf einer gesünderen Steuerwirtschaft als die eng-
lische und wird weniger als Klassenbesteuerung empfunden. Wenn aber,
wie bei uns in Deutschland, jeder die neue Belastung auf den anderen ab-
schieben will, so ist das Resultat: nil! Mit Bezug auf den Modus vivendi
für eine Flottenverständigung würde ich es vorziehen, zunächst nicht mit
Grey, sondern mit Asquith, und zwar rein akademisch und persönlich,
ohne Auftrag, zu sprechen. Die Möglichkeit einer Reduzierung unserer
Flotte sollte in der geheimsten Kammer unseres Busens bis auf weiteres
verschlossen bleiben. Als Verhandlungsobjekt genügt es, mit der Ver-
langsamung des Bautempos zu operieren, wobei natürlich von dem
Standpunkt abgegangen werden muß, daB wir das, was wir in den ersten
drei Jahren weniger, in den nächsten drei Jahren wieder mehr bauen wollen.
Darin liegt kein Verhandlungsobjekt, sondern höchstens die Vorhaltung,
daß die Gefahr mit den Jahren wächst. Eine Verlangsamung des Tempos,
mit der sich hier etwas ausrichten läßt, denke ich mir etwa so, daß wir
jährlich nicht mehr als zwei Hauptschiflfe bauen wollen.“
Am 9. Februar 1909 trafen der König und die Königin von England in
Berlin ein, wo sie von Kaiser und Kaiserin, dem Kronprinzenpaar und
allen Prinzen und Prinzessinnen des königlichen Hauses empfangen wurden.
Während der Zug langsam in die Halle des Lehrter Bahnhofs einfuhr,
sagte der zwischen mir und Tirpitz stehende Botschafter Metternich, der,
wie dies der Übung entsprach, für den Besuch der englischen Majestäten
nach Berlin gekommen war, zu dem Staatssekretär des Reichsmarineamts:
„Wenn Sie es dem Fürsten Bülow nicht ermöglichen, das von ihm ge-
wünschte und angestrebte Flotten-Agreement mit England zustande zu
bringen, so wird dies wohl das letzte Mal sein, daß ein englischer König
einem Deutschen Kaiser einen Besuch abstattet.“‘ Der König kam, sobald
er unsere Majestäten begrüßt hatte, direkt auf mich zu und gab seiner Be-
friedigung Ausdruck, mich wiederzusehen. Bei der Galatafel, die abends
im Weißen Saal des königlichen Schlosses stattfand, hieß es in dem Trink-
27°
Eduard VII.
in Berlin