Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DAS ALPHA UND OMEGA 427 
worden ist. Es gibt ja kaum zwei Länder, die für ihre nationale Arbeit so 
sehr aufeinander angewiesen sind wie Deutschland und England.“ Ich be- 
wies, die Statistik in der Hand, daß Deutschland der beste Kunde des Ver- 
einigten Königreichs wäre: andererseits nehme kein Land von deutscher 
Ausfuhr so viel auf wie Großbritannien. Aus den von mir angeführten Zahlen 
sprächen Werte, die ihre verbindende Kraft jahraus, jahrein praktisch 
betätigten. Wie bei uns, so fehle es auch bei einem politisch so reifen Volk 
wie dem englischen nicht an Fanatikern, die keinen Blick hätten für die 
große Interessengemeinschaft zwischen dem deutschen und dem englischen 
Volk. Ich bliebe aber der festen Hoffnung, daß es ihnen nicht gelingen werde, 
einen ausschlaggebenden Einfluß auf das politische Denken der britischen 
Nation zu gewinnen, und die Eindrücke, die ich während des englischen 
Besuchs in einer Reihe von politischen Gesprächen gewonnen hätte, 
bestärkten mich in dieser Auffassung, der ich nicht zum erstenmal im 
Reichstag Ausdruck verliehe. 
Die Herbeiführung einer Flottenverständigung zwischen Deutschland 
und England ist diejenige Frage, die mir während der letzten Periode 
meiner Amtszeit mehr als irgendeine andere am Herzen gelegen hat. Im 
Frühjahr 1909 erzählte mir Albert Ballin, sein englischer Freund Sir 
Ernest Cassel, der König Eduard sehr nahestand, habe ihm wiederum 
vertraulich geschrieben, unsere Schiffsbauten wären ‚‚das Alpha und Omega 
des englischen Mißtrauens gegen uns wie aller englischen Machinationen““, 
Nicht lange nachher übersandte mir Ballin einen langen und glänzenden 
Bericht, in dem Walter Rathenau ihm seine Eindrücke in und über Eng- 
land geschildert hatte. Rathenau hob hervor, daß England von zwei 
schweren Sorgen erfüllt wäre, der wirtschaftlichen und der kolonialen. Die 
neueren, vorwiegend wirtschaftlich gearteten Industrien, also Maschinen- 
industrie, chemische Industrie, Elektrizitätsindustrie, beruhten auf zwei 
Faktoren: Technik und Organisation, d. h. auf der Tüchtigkeit des techni- 
schen und des kaufmännischen Beamten. England behaupte scine starke 
Position noch immer in denjenigen älteren Industriezweigen, die detail- 
fähige Gebrauchsware lieferten; aber in den modernen Großindustrien, 
die vermöge erweiterter Arbeitsteilung die fertigmachenden Industrien mit 
Produktionsmitteln versorgten, bleibe es hinter Deutschland zurück. 
Andererseits machten sich in den englischen Kolonien immer mehr zentri- 
fugale Kräfte geltend, denen England nichts entgegenzusetzen habe als 
seine Flotte. Mit jedem Schiff, das Deutschland baue, lockere sich ein Stein 
des britischen Kolonialgebäudes. Gegenüber diesen zwei schweren Sorgen 
habe England nur zwei Mittel der Abhilfe. Das eine, der Schutzzoll, sei 
grundsätzlich durchaus ausführbar, aber vermutlich nicht heilsam, das 
andere, die Flottenvermehrung zweckentsprechend, aber vielleicht nicht 
Ein Bericht 
Walter 
Rathenaus
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.