INITIATIVE GEFÄHRLICH 433
gründlich und ernstlich erst verdüstert, seitdem unsere Flottenbauten und
die Agitation für diese den Engländern die immer mehr anwachsende feste
Überzeugung beigebracht hätten, daß unsere Flotte eine ernste Bedrohung
für England bedeute, für welches die absolute Sicherheit und Überlegenheit
auf maritimem Gebiet nun einmal eine Lebensfrage sei. Nicht die deutsche
Konkurrenz auf dem Weltmarkt, wenn sie auch den Engländern un-
bequem, wäre es, welche die tiefgehende Verstimmung erzeugt habe,
sondern lediglich die deutsche Flottenpolitik.
Acmiral von Tirpitz meint, daß sich in dem Briefe Seiner Majestät
und dessen Auslegung vielleicht Mißverständnisse finden könnten. Er
sei stets bemüht gewesen, Seine Majestät davon zu überzeugen, daß es
unrichtig wäre, eine Diskussion über eine gegenseitige Verständigung in
den Flottenrüstungen a limine abzulehnen. Bei dem von Seiner Durch-
laucht berührten Immediatvortrage vom 3. April 1903, der auf Veranlassung
desselben erfolgt sei, habe es sich nur um die Vergangenheit gehandelt
und habe er hierbei Seiner Majestät gegenüber erwähnt, daß sich im
Herbste 1908 wohl Gelegenheit geboten haben würde, eine Relation 3:4
in Neubauten als Grundlage für Verhandlungen mit England zu benutzen.
Damals hätte der Vorschlag wohl Aussicht auf Annahme seitens Englands
gehabt, da die Engländer damals nur vier neue Schiffe bauen wollten.
Jetzt sei dies anders. Für solche Verhandlungen wäre es zweckmäßiger
gewesen, den Verzicht auf eine Novelle für 1912 nicht aus der Hand
gegeben zu haben, sondern ihn als Verhandlungsmittel auszunutzen. Die
Gefahr eines Zusammenstoßes mit England sei im übrigen seiner An-
sicht nach nicht so groß, wie Graf Metternich es schilderte, die Verstimmung
der Engländer wurzele nach seinen Erfahrungen in dem Unbehagen über die
wirtschaftliche und politische Konkurrenz, die jetzige Erregung aber sei in
der Hauptsache Mache Sir John Fishers, der die englische Admiralität
repräsentiere und mit allen Mitteln der Perfidie gegen Deutschland arbeite.
Je stärker wir unsere Flotten machen, desto mehr wird sich England hüten,
mit uns ernstlich anzubinden. Er glaube, daß der „navy scare“ in England
überwunden sei. Er könne nur nochmals bedauern, daß Graf Metternich die
Zusicherung, es sei 1912 keine Novelle beabsichtigt, ohne Gegenkonzession
gegeben habe, aber er, der Staatssekretär, sei bei der dem Grafen Metter-
nich erteilten Instruktion nicht gehört worden. Eine Initiative zu einer
Verständigung mit England unsererseits zu ergreifen, halte er nach dem
Verhalten der englischen Regierung in diesem Frühjahr nicht für angezeigt,
ja für gefährlich. England solle seinerseits zunächst mit Vorschlägen hervor-
treten, dann könne man ja hören, was angeboten wird, und danach sein
Gegenangebot machen. Übrigens gingen unsere Neubauten im Jahre 1912
von vier auf zwei Schiffe herunter, ein Umstand, der an sich schon eine Ver-
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