Tod des
Geheimrats
Renvers
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Reichsverfassung ernennt und entläßt der Kaiser den Reichskanzler;
Kaiser Wilhelm II. war somit völlig berechtigt, Bismarck fortzuschicken;
also wozu der Lärm?“ Bötticher hätte es nicht schöner sagen können. Auch
in einem späteren Buch über die Vorgeschichte des Weltkrieges wird vor
allem auf Seine Majestät Rücksicht genommen. Das Buch „‚Um den Kaiser“,
das nach dem Novemberumsturz erschien, geht mit dem gestürzten Kaiser
grausam ins Gericht. Alle drei Bücher sind ohne bleibenden Wert. Höher
steht das später entstandene Buch „Vom mißverstandenen Bismarck“,
dessen Titel eine Anleihe bei mir war. Ich hatte in meiner Reichstagsrede
vom 14. November 1906 gesagt: „Das Dogmatisieren des Fürsten Bismarck
ist übrigens, das möchte ich doch einmal aussprechen, nicht nur zu einer
Manie, sondern zu einer Kalamität geworden. Wir laborieren an dem miß-
verstandenen Fürsten Bismarck. Da zeigt sich recht unsere deutsche Nei-
gung, alles zu einem System zu machen.“ Auch die jüngste Gabe der Ham-
mannschen Muse: „Bilder aus der letzten Kaiserzeit“, ist leichte Ware, aber
ganz unterhaltend. Die in diesen „Bildern“ wiedergegebenen Briefe und
Direktiven von mir sind nicht auf meine Veranlassung publiziert worden;
ich verleugne sie aber nicht.
Bedeuteten die Veränderungen, die in der Umgebung Wilhelms II. und
in dem für den Reichskanzler so wichtigen Auswärtigen Amt eingetreten
waren, eine Erhöhung meiner geschäftlichen Schwierigkeiten, eine Ver-
mehrung der Reibungsflächen, so traf mich der im Frühjahr 1909 erfolgte
Tod meines lieben Freundes und langjährigen ärztlichen Beraters Renvers,
der im besten Mannesalter sterben mußte, als ein persönlicher Schmerz,
der mich im Innersten erschütterte. Mit immer gleicher Treue und Güte,
mit hoher ärztlicher Kunst hatte er mich während meiner Amtszeit, die so
große Ansprüche an meine körperlichen Kräfte stellte, beschützt und geleitet.
Mit psychologischer Meisterschaft wußte er mich, der ich, von Hause aus
kräftig, mich bis dahin wenig um meine Gesundheit gekümmert hatte, zur
Selbstbeobachtung und zu einer vernünftigen Lebensweise zu bewegen. Er
pflegte zu sagen: „Wer nicht mit fünfzig Jahren sein eigener Arzt sein
kann, an dem ist Hopfen und Malz verloren.‘ Er hielt auf Maß im Essen
und noch mehr im Trinken, auf regelmäßiges dreiviertelstündiges oder
wenigstens halbstündiges Turnen, auf Geben und Reiten. Er war aber
nicht nur der Arzt des Körpers, er war auch Seelenarzt. In manchen poli-
tischen und persönlichen Schwierigkeiten fand ich bei ihm Verständnis und
klugen Rat. Er, der mich so gewissenhaft betreute, der so vielen Menschen
Gesundheit und Leben gerettet hatte, starb eines frühen Todes, weil er ein
eigenes inneres Leiden vernachlässigte. Er, dessen Diagnose für unfehlbar
galt, er, der mir bisweilen scherzend gesagt hatte, die eigentliche Arznei-
kunde habe seit Hippokrates nur bescheidene Fortschritte gemacht, sehr