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Abirrungen
450 DAS MÄRCHEN VON DEM WEINKRAMPF
ist alles im reinen.‘ Die Kaiserin wäre überglücklich gewesen und hätte das
auch ausgesprochen.
Am 12. März erschien im Auftrage Seiner Majestät Graf August Eulen-
burg bei meiner Frau, überreichte ihr auf Allerhöchsten Befehl ein präch-
tiges Blumenbukett und frug, ob der Kaiser mit der Kaiserin an demselben
Abend bei uns im kleinen Kreise speisen könne. Meine Frau bat Eulenburg,
den Majestäten ihren Dank und ihre Freude zu übermitteln. Allerdings war
sie in einiger Verlegenheit, ob sich in so kurzer Zeit ein Diner für die
Majestäten bewerkstelligen lassen würde. Sie ließ unseren langjährigen
Küchenchef, Monsieur Cholin, kommen und frug ihn, was da zu machen
wäre. Dieser erwiderte mit Würde: „Je ne suis nullement etonn&, cela
ressemble bien a Sa Majeste. II n’en fait jamais d’autres. Mais je n’en
tirerai & mon honneur.“ Das Essen war nicht nur gut, sondern das ganze
Diner verlief in harmonischer Stimmung. Wilhelm II. begrüßte meine Frau
mit den Worten: „Wie glücklich bin ich, wieder hier zu sein! Was war das
für ein schrecklicher Winter! Nun ist aber alles wieder in schönster Ord-
nung.“ Der Kaiser blieb von acht bis einhalb ein Uhr. Tags darauf kam
Graf August Eulenburg, um im Allerhöchsten Auftrag meiner Frau noch-
mals zu sagen, wie glücklich der Kaiser über die volle Aussöhnung wäre.
Ich habe Wilhelm II. während meiner langjährigen dienstlichen und per-
sönlichen Beziehungen zu ihm selten in einer besseren, freundlicheren
Stimmung gesehen als während der nun folgenden Wochen. Das erste Wölk-
chen, das sich an dem sonst geklärten Horizont zeigte, war die mir aus
sicherster Quelle zugehende Nachricht, daß der Kaiser am Abend meiner
langen Aussprache mit ihm, am 11. März, an seinen Bruder, den Prinzen
Heinrich, telegraphiert habe: „Ich habe Bülow verziehen, nachdem er
Mich unter Weinkrämpfen um Pardon gebeten hat.“ Ich sprach über diese
völlig unwahre, doch sehr seltsame Kundgebung mit August Eulenburg, der
ihr keine größere Bedeutung beimaß. Er meinte, der Kaiser sei in Verlegen-
heit gewesen, wie er seinem Bruder seine Versöhnung mit mir erklären solle,
nachdem er während der letzten Zeit sich diesem gegenüber über mich sehr
unfreundlich und ausfallend geäußert hätte. Da habe er zu dem Märchen
von dem Weinkrampf gegriffen. „Bei der größten Wahrheitsliebe kommt
derjenige, der vom Absurden Rechenschaft geben soll, immer ins Gedränge.
Er will einen Begriff davon überliefern, und so macht er es schon zu etwas,
da es eigentlich ein Nichts ist, welches für etwas gehalten werden will“,
bemerkt Gocthe in seiner italienischen Reise, als er sich anschickt, die
Villa Pallagonia in Palermo zu schildern, über deren phantastische Ex-
zentrizitäten der normale Mensch von gesundem Menschenverstand den
Kopf schüttelt.