Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

458 BÜLOWS AUSEINANDERSETZUNG MIT IHNEN 
und zweckmäßige Besitzsteuer, die den erforderlichen Ertrag bringe. Die 
von den Konservativen vorgeschlagene Wertzuwachssteuer sei durchaus 
erwägenswert. Schon seit langer Zeit werde dieser Gedanke erwogen, aber 
sehr viele Bedenken, die jetzt auf Wunsch der Konservativen sachlich 
geprüft werden sollten, ständen seiner Durchführung entgegen. Er sei über- 
zeugt, daß die Bedenken überwiegen, vor allem, daß diese Steuer nicht an- 
nähernd den vom Reichstag berechneten Betrag ergeben, sich vielmehr 
höchstens auf fünfundzwanzig Millionen stellen werde. Es stehe jetzt schon 
fest, daß die Wertzuwachssteuer auf Wertpapiere einfach undurchführbar 
gei. Diese Steuer könne also nicht als voller Ersatz der Erbschaftssteuer 
gelten. Eine weitere Erhöhung der Matrikularbeiträge sei ausgeschlossen. 
Veredelte Matrikularbeiträge seien eine Reichseinkommen- oder Vermögens- 
steuer, die rohen für die kleinen und mittleren Staaten unerträglich. Der 
Kanzler müsse also die Finanzreform als gescheitert ansehen, wenn die 
Erbschaftssteuer falle. Er könne keine Reform machen allein mit Kon- 
servativen, Wirtschaftlicher Vereinigung, Zentrum und Polen. Er würde 
seiner ganzen Politik ins Gesicht schlagen, wenn er jetzt die Situation durch 
die Polen retten ließe. Die Nationalliberalen müßten dabei sein, sie würden 
eich aber einer solchen Mehrheit nicht anschließen. Er, der Kanzler, wolle 
aber auch die Reform nicht gegen die Konservativen machen. Wenn diese 
bei ihrem Widerstand blieben, sähe er sich außerstande, die Geschäfte des 
Landes zu führen. Auf die Konservativen gehe dann die Verantwortung 
über. Da er den Kaiser bei seinem Abgange auch wegen der weiteren Politik 
und der Männer, die sie eventuell durchführen sollen, beraten müsse, so 
frage er die Herren: Erstens, welches Programm sie nach dem Scheitern 
dieser Reform zur Sanierung der Finanzen aufstellen wollten? Zweitens, 
mit welchen Parteien sie das Programm durchführen wollten? Und 
drittens, welche Männer sie sich an der Spitze der Regierung dächten, um 
ihre Ziele zu erreichen? Die heutige Besprechung solle nicht dartun, daß 
der Kanzler zum parlamentarischen Regime übergehe und sich einer poli- 
tischen Partei, sei es auch die konservative, unterwerfe. Er habe es aber als 
seine Pflicht betrachtet, die Herren vollständig aufzuklären, weil er bisher 
während der ganzen Zeit seiner Kanzlerschaft mit der konservativen Partei 
konservativ-agrarisch regiert habe. Alles Gerede von der antikonservativen 
Regierung sei Blödsinn oder Verleumdung. Jeder verständige Mensch wisse, 
daß in der Verwaltung und in der Politik von ihm, dem Kanzler, konser- 
vative Grundsätze zur Geltung gebracht seien. Die Regierung werde in 
konservativem Geist und landwirtschaftsfreundlich geführt und so, wie 
jeder der Herren, wenn er Minister wäre, sie führen müßte, wenn er in 
der Politik vorwärtskommen wolle. Auch Herr von Heydebrand würde 
an Stelle des Kanzlers nicht lediglich Grundsätze seines konservativen
	        
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