EIN TOTENGRÄBER DES ALTEN PREUSSEN 461
Krone. Als Preuße, als Royalist und als deutscher Kanzler löse ich nicht
auf. Aber als Mann, der mit seiner Überzeugung steht und fällt, bleibe ich
nicht, wenn Sie jetzt den Block sprengen, statt sein natürliches Ende abzu-
warten, wenn Sie mir eine verständige Reichsfinanzreform verhunzen, wenn
Sie alle Errungenschaften der letzten Wahlen leichtfertig aufs Spiel setzen.“
Herr von Heydebrand verabschiedete sich mit der Bemerkung, daß er mir
meine zum Teil scharfen Wendungen nicht übelnehme, teils weil er die
verbitterte Stimmung eines mit Arbeit überhäuften und von manchen
Sorgen gequälten Staatsmauns begreife, teils auch weil meine royalistische
und preußische Grundgesinnung für ihn über jeden Zweifel erhaben sei.
Aber auch er könne seine Überzeugung nicht opfern.
Im Gegensatz zu Wilhelm von Kardorff-Wabnitz, zu Graf Limburg-
Stirum, zu Graf Kanitz-Podangen, zu Graf Udo Stolberg, zu Graf Mirbach-
Sorquitten kam Heydebrand nicht aus der Bismarckschen Schule. Er
wurzelte mit seinen Anschauungen in den Gedankengängen von Julius
Stahl, von Karl von Bodelschwingh, von Graf Leopold Lippe, von Ludwig
von Gerlach. Er würde, wenn er zwanzig Jahre früher auf die Welt gekom-
men wäre, während der Konfliktszeit mit Begeisterung den Ministerpräsiden-
ten von Bismarck-Schönhausen unterstützt haben, er wäre als guter Preuße
auch mit ihm Sadowa entgegengezogen. Aber in den siebziger Jahren wäre
erin die Opposition gegangen, und er hätte zu den Deklaranten der „Kreuz-
Zeitung‘ gehört. Mit ungewöhnlichen Gaben und lauterer Gesinnung ist
Heydebrand schließlich durch Kurzsichtigkeit, Einseitigkeit und blinden
Eigensinn zu einem Totengräber des alten Preußen geworden. In der Frage
der Erbschaftssteuer stand Herr von Heydebrand mehr unter dem Druck
des Bundes der Landwirte, als daß er aus innerem Antrieb einen intransi-
genten Standpunkt eingenommen hätte. Der Bund der Landwirte wider-
setzte sich der Nachlaß- und Erbschaftssteuer aus agitatorischen Gründen.
Ich hatte im Laufe der Jahre die vernünftigen und berechtigten Wünsche
der deutschen Landwirtschaft erfüllt. Um eine so sehr auf Agitation ge-
stellte Organisation wie den Bund der Landwirte bei der Stange zu halten,
mußte seinen Anhängern immer wieder ein Streitobjekt und Kampfziel
vorgehalten werden. Der Schlachtruf: Keine Erbschaftssteuer, keine Nach-
laßsteuer! erschien als der beste Cry für eventuelle Wahlen. Der Wider-
stand des Herrn von Heydebrand gegen jede Reform des preußischen
Wahlrechts aber kam aus der Tiefe seiner Seele, beruhte auf seinen inner-
lichsten Wünschen, Leidenschaften und Überzeugungen. Er wollte ä tout
prix seine dominierende Stellung im Hause der Abgeordneten behaupten.
Das war nur möglich, wenn die Konservativen dort über die absolute
Mehrheit verfügten, und das wiederum hing davon ab, daß das bestehende
Wahlrecht in keiner Weise modifiziert wurde.