Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

474 MIT DER ERBSCHAFTSSTEUER STEHEN UND FALLEN 
Sozialdemokratie nicht Bundesrat und Reichstag beherrscht, so lange 
besteht nicht die Gefahr konfiskatorischer Ausbeutung dieser Steuer. 
Sollten aber einmal die Sozialdemokraten die Geschäfte in die Hand 
nehmen, so würden die Erbschaften daran glauben müssen, ob die Sozial- 
demokratie die Deszendentenbesteuerung vorfände oder nicht. Mit dem 
Vorwurf des Sozialismus soll man uns also nicht kommen. Vor dem brau- 
chen wir uns ebenso wenig zu fürchten, wie es Fürst Bismarck tat.‘ So 
sprach ich nach dem Ausfall der Wahlen von 1907. Und heute darf ich 
wohl sagen, daß, wenn Unverstand und Verblendung der bürgerlichen 
Fraktionen die Früchte jenes Wahlsieges nicht verscherzt hätten, die Dinge 
eine andere Entwicklung genommen haben würden, als wir sie in den auf 
meinen Rücktritt folgenden Jahren erleben mußten. Meine persönliche 
Stellung zu der Frage der Erbschaftssteuer hatte ich in die Worte zusam- 
mengefaßt: „Was in den verschiedensten Ländern der Welt, was in den 
Hansestädten, in Elsaß-Lothringen, in den deutschen Kantonen der 
Schweiz, in Österreich-Ungarn, in England und in Frankreich in jahrzehnte- 
langer Übung zu keiner Erschütterung des Familiensinns geführt hat, das 
wird auch in Deutschland, wenn sich die Wogen gelegt haben, als eine 
erträgliche Steuer angesehen werden, und spätere Generationen werden 
die Erregung unserer Tage in dieser Hinsicht kaum noch begreifen können.“ 
Eine so klare und bestimmte Erklärung ließ natürlich keinen Zweifel dar- 
über, daß ich persönlich mit der Erbschaftssteuer stünde und fiele. Nach dem 
Empfang der am 20. April im Kongreßsaal bei mir erschienenen Herren 
hatte ich mich noch lange mit jedem einzeln unterhalten und immer wieder 
die zweifellos ehrliche und aufrichtige Versicherung gehört, daß die über- 
wiegende Mehrheit des Landes mit meiner Haltung einverstanden sei. 
Anders standen die Dinge im Reichstag. In der zweiten Hälfte des 
Heydebrand April 1909 batte ich Herrn von Heydebrand mit dem Führer der sächsischen 
rechnet auf Konservativen und Präsidenten der Zweiten Sächsischen Kammer, Meh- 
Bülows Sturz nert, zu Tische geladen. Di der Konservativen Partei 
gehörten zu meinen treusten Anhängern und standen unentwegt auf meiner 
Seite, auch in der Frage der Erbschaftssteuer. Sie wußten warum. Bei den 
Wahlen von 1907 hatten die bürgerlichen Parteien in Sachsen nicht 
weniger als dreizehn Wahlsitze auf Kosten der Sozialisten erobert. Während 
Mehnert mit Heydebrand die Treppe zu mir hinaufstieg, setzte er ihm mit 
großer Eindringlichkeit auseinander, wie bedauerlich mein Rücktritt für 
den weiteren Gang nicht nur unserer auswärtigen, sondern auch unserer 
inneren Politik sein würde und daß die Konservative Partei eine große Ver- 
antwortung übernehme, wenn sie helfe, einen solchen herbeizuführen. 
Heydebrand erwiderte: „An und für sich haben Sie ganz recht, Sie ver- 
gessen aber, daß, auch wenn wir dem Reichskanzler die Erbschaftssteuer 
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