IM KREIS DER KRONENTRÄGER 477
und Gesinnungen mir gegenüber lebhaften Ausdruck. Die meisten von ihnen
sprachen mir gleichzeitig die Hoffnung aus, daß ich zum Wohle des Reichs
noch viele Jahre in meinem Amt bleiben würde, mit besonderer Wärme der
Prinz Ludwig von Bayern, der Großherzog von Baden und der König von
Württemberg. König Wilhelm von Württemberg, ein ebenso patriotischer
wie verständiger Herr, dem Kaiser schon als alter Gardehusar treu ergeben,
aber ebenso treu dem Reich, sagte mir: „Wir hoffen alle, daß Sie bleiben, und
das Volk wünscht und hofft es auch. In meinem Lande gibt es sogar viele
Zentrumswäbler, die, wie mir katholische Herren in Württemberg versichert
haben, schon im Hinblick auf die auswärtige Politik Ihr Bleiben wünschen.“
Der Kaiser bewegte sich mit hohem und markiertem Selbstgefühl im Kreise
der Kronenträger. Mein Freund Knesebeck sagte mir, leise auf den Enkel
des bescheidenen Kaisers Wilhelm I. deutend: „Sieht er nicht aus wie ein
Pfau, der sein Rad schlägt?“ Und mit melancholischem Lächeln fügte der
kluge und treue Freund hinzu: „Und noch mehr erinnert er leider an den
jungen Lord von Edenhall in Uhlands Gedicht. Absit omen!“ Als einige
Tage später in einigen Berichten der preußischen Gesandten bei den deut-
schen Höfen die diskrete Einwirkung gestreift wurde, die zu dem Erscheinen
aller deutschen Fürsten im Berliner Schloß beigetragen batte, schrieb der
Kaiser an den Rand, daß solche Beeinflussung unnötig gewesen wäre, denn
die Bundesfürsten wüßten selbst, was des Kaisers Majestät gegenüber ihre
verfluchte Pflicht und Schuldigkeit sei.
Inzwischen hatte die von Herrn von Heydebrand gegen den Wider-
spruch vieler Konservativer (Schwerin-Löwitz, Kanitz-Podangen, Kap-
hengst, Hohenlohe-Oehringen, Pauli usw.) hartnäckig verfolgte Annäherung
an das Zentrum und die Polen unter Abwendung von den Liberalen weitere
Fortschritte gemacht. Es wurde immer unwahrscheinlicher, daß die
Reichsfinanzreform mit der von mir gewünschten Besitzsteuer im Reichstag
durchgehen würde. Graf Udo Stolberg, seit dem durch die Wahlen von
1907 herbeigeführten Umschwung Präsident des Reichstags, seit achtund-
dreißig Jahren Mitglied des Reichstags, einer der klügsten und bewährtesten
Vorkämpfer der konservativen Richtung und Partei hatte schon am 22. Mai
1909 an Herrn von Loebell geschrieben: „Meine einzige Hoffnung, daß es
nicht schiefgeht, beruht auf der Person des Reichskanzlers. Ich bin in
einer ähnlichen Lage wie Ballestrem, der einen Febler, den seine Freunde
begingen, sah, aber nicht ändern konnte. Ich nehme an, daß Sie diesen
Brief nicht veröffentlichen oder daß Sie es erst tun, wenn ich tot bin, in
welchem Fall es mir gleichgültig ist.‘“ Gleichzeitig wurde mehr als je beim
Kaiser gegen mich intrigiert. Es hatte sich zu diesem Zweck eine Gruppe
zusammengefunden, die sich der „Bund der Kaisertreuen“ nannte. Eine
Hauptrolle in dieser Koterie spielte Fürst Max Fürstenberg, der, wie ich
Eine Koterie
bildet sich