Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Bülows letzte 
Reichstags- 
rede 
XXX KAPITEL 
Die Steuerfragen im Reichstag (16. VI. 1909) - Bülows letzte Rede im Reichstag - Das 
Ostmarken-Problem - Die Enteignungsvorlage -« Wilhelm II. zu diesem Gesetz - Bülows 
frühere Reden (1907, 1908) zur Ostmarkenpolitik « Kundgebungen zur Annahme der 
Enteignungs-Vorlage « Widerspruchsvolle Haltung Wilbelms Il. Bülow gegenüber 
Unterirdische Iutrigen gegen Bülow - Erzberger, Röder, Martin - Wer wird Kanzler? 
Brief des Fürsten Wedel an Bülow 
m Tage bevor die Entrevue in den finnischen Schären stattfand, am 
16. Juni, begann im Reichstag die zweite Lesung der Steuervorlage*. Beim 
Beginn der Sitzung ergriff ich sogleich das Wort, um mich mit den großen 
bürgerlichen Parteien auseinanderzusetzen. Gegenüber dem Zentrum kon- 
statierte ich, daß es mir nicht eingefallen wäre, seine Mitwirkung bei der 
Reichsfinanzreform abzulehnen. Auf meine ausdrückliche Weisung wäre 
das Zentrum wie alle anderen bürgerlichen Parteien von vornherein über 
die Absichten der verbündeten Regierungen unterrichtet worden. Ich hätte 
überhaupt nie eine Partei an positiver Arbeit verhindert, ich würde sach- 
liche Unterstützung auch von den Sozialdemokraten annehmen. Ich hielt 
dem Zentrum die Verdächtigungen vor, die von Angehörigen seiner Partei 
gegen mich erhoben worden wären. In meiner politischen Haltung hätte 
mich das nicht irregemacht. Gegen Verleumdungen wäre ich abgebrüht. 
Ich verstünde allmählich, was Fürst Bismarck gemeint hätte, als er einmal 
einem ausgezeichneten Mann, der wenig Neigung zeigte, ein Minister- 
portefeuille zu übernehmen, in der ihm eigenen drastischen Ausdrucksweise 
sagte: „Eigentlich begreife ich, daß Sie nicht Lust haben, in die Drecklinie 
einzurücken.“ Ich hätte mich auch nicht dadurch beirren lassen, daß Mit- 
glieder des Zentrums ihre gesellschaftlichen Beziehungen zu mir abge- 
brochen hätten. „Vielleicht trägt mein langer Aufenthalt im Ausland dazu 
bei, daß ich nicht gewohnt bin, daß man sich gegenseitig gesellschaftlich 
ausschließt, weil man politisch aneinandergeraten ist oder politisch oder 
wirtschaftlich anders denkt. Ich hoffe, daß sich in dieser Beziehung der 
Takt bei uns bessern wird, daß man auch bei uns dahin kommen wird, wo 
andere Völker schon lange sind. Namentlich in England denkt man nicht 
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe III, 214; Kleine Ausgabe II, 194.
	        
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