Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

ANSAGE DES RÜCKTRITTS 497 
entspricht, deshalb, nicht aus Eigensinn oder Rechthaberei, halte ich an der 
Erbschaftssteuer fest. Ich hoffe, daß im Reichstag Gemeinsinn, nationales 
und soziales Empfinden den Sieg davontragen werden über Kleinlichkeit 
und Parteigezänk.“ Ich schloß mit den Worten: „Wenn ich mich überzeugen 
sollte, daß meine Person der Sache entgegensteht, daß ein anderer leichter 
zum Ziel gelangt, oder wenn sich die Verhältnisse in einer Richtung ent- 
wickeln sollten, die ich nicht mitmachen kann, nicht mitmachen will und 
nicht mitmachen werde, so wird ea mir auch möglich sein, den Träger 
der Krone von der Opportunität meines Rücktritts zu überzeugen, und 
dann wird mein Wunsch, daß meinem Nachfolger Erfolg beschieden sein 
möge, ebenso ehrlich sein, wie es meine Arbeit im Dienste des Landes war.“ 
Es war das letzte Mal, daß ich im Deutschen Reichstag das Wort er- 
griffen habe. Während des ersten Teils meiner Rede wurde ich vom Zentrum 
und von den Sozialdemokraten mehrfach unterbrochen, dann aber schwei- 
gend angehört. Die beiden mir feindlichen Parteien zischten auch nicht, 
als ich schloß, während die Liberalen und die Mehrheit der Konservativen 
in stürmischen Beifall ausbrachen. Von den Berliner Abendblättern meinte 
das demokratische „Berliner Tageblatt“, es würde zum mindesten nicht 
überraschen, wenn sich Fürst Bülow auch diesmal, trotzdem er mit seinem 
Rücktritt spiele, als Herr der Situation erweisen sollte. Die konservative 
„Kreuz-Zeitung“ versicherte: „Die hohen Verdienste dieses Reichskanzlers 
auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik und der auswärtigen Politik sichern 
ihm für alle Zeit die Dankbarkeit der Nation und auch der Konservativen 
Partei. Wir hoffen und vertrauen auch heute noch, daß sein großes und 
staatsmännisches Geschick ihn Mittel und Wege finden läßt, um die gründ- 
liche Reform der Reichsfinanzen in einer befriedigenden Weise zu lösen.“ 
Das leitende klerikale Blatt, die „Germania“, bezeichnete meine Rede als 
„einen neuen Aflront‘“ gegen das Zentrum. Die freikonservative „Post“ 
schrieb: „Darüber konnte niemand im Zweifel sein, daß der Tag der Ab- 
rechnung gekommen war, als Fürst Bülow sich erhob, um sofort mit einem 
mächtigen Ausfall ‚aufs Ganze‘ vorzugehen. Klar und bestimmt übernahm 
er seine Führerrolle. Jedem einzelnen sagte er offen und ohne mit der 
Wimper zu zucken, wohin er sich verlaufen hätte und wo sein Platz sein 
muß, jeder Fraktion zeigte er ihre Irrtümer und taktischen Fehler und 
seine eigene Stellung.“ 
Mit Befriedigung konnte ich in diesen Monaten, die meinem Rücktritt 
vorangingen, auf den Stand der Ostmarkenfrage blicken. Ich hatte, nach- 
dem die Zügel der preußischen Regierung in meine Hand gelegt worden 
waren, mehr als einmal erklärt, daß ich die Östmarkenfrage als die wichtigste 
Frage unserer inneren Politik betrachte. Der Schwerpunkt lag in der konse- 
quenten und entschlossenen Förderung des Ansiedlungswerks. Aber je 
Die 
Ostmarken- 
rage
	        
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