Die Vorlage
im Abgeord-
netenhaus
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seinem Kampfeseifer gegen die Polen die schärfsten Hakatisten. Ich mußte
ihn mehr als einmal daran erinnern, daß ich eine Anwendung der Enteig-
nung nur da zuließe, wo essich um Grundbesitz handelte, der erst in neuester
Zeit aus deutschen in polnische Hände übergegangen war oder dessen
polnische Eigentümer seit Jahr und Tag der eigenen Scholle fern im Aus-
lande, in Paris oder Monte Carlo, weilten. Wahnschaffe wäre am liebsten
ohne Wahl noch Unterschied gegen jeden polnischen Besitz vorgegangen.
Derselbe Wahnschaffe hat als treuer Knecht von Bethmann Hollweg
während des Weltkriegs mein Buch über „Deutsche Politik“ im Bereich
des Oberkommandos Ost verbieten lassen, da das, nebenbei gesagt, sehr
maßvolle Kapitel über Ostmarkenpolitik die Gefühle unserer „ritterlichen
polnischen Freunde“ verletzen könnte. Es war derselbe Geheimrat Wahn-
schaffe, der unter Prinz Max von Baden im November 1918 als Chef der
Reichskanzlei nicht aus der Telefonzelle der Berliner Reichskanzlei wich
und immer wieder Spa mit der Frage anklingelte, ob Seine Majestät der
Kaiser und König nicht endlich abdanken wolle. Bei der besonderen Schwie-
rigkeit der Enteignungsvorlage habe ich, wie ich hier zusammenfassend
bemerken möchte, sie im Abgeordnetenhaus wie im Herrenhaus persönlich
vertreten.
Ich hatte schon am 26. November 1907 konstatiert*, daß während meiner
Amtszeit ungefähr doppelt so viel deutsche Bauernfamilien im deutschen
Osten angesiedelt worden waren wie in allen vorangegangenen Jahren seit
1886, wo Fürst Bismarck die Ansiedlung in Angriff nahm. Es wäre also,
führte ich aus, die Hoffnung berechtigt, daß durch unsere Ostmarkenpolitik
in der Provinz Posen die seit 1867 beständige Verschiebung der Bevölke-
rungsziffer zuungunsten des Deutschtums allmählich zum Stillstand ge-
kommen wäre. Ich wies mit reichhaltigem Material darauf hin, daß im
letzten Ende der Grundbesitz darüber entscheide, ob unsere Ostprovinzen
deutsch oder polnisch sein würden. Ginge es so weiter, so würde voraus-
sichtlich in zwanzig Jahren der deutsche Grundbesitz nur aus Fidei-
kommissen und Domänen bestehen und gegenüber dem polnischen sich
in verschwindender Minderheit befinden. Unter lärmendem Widerspruch
der Polen erklärte ich klipp und klar: „Wir können unsern Landbedarf im
freihändigen Ankauf nicht mehr decken, und daraus ergibt sich mit zwin-
gender Notwendigkeit, daß ein eminentes Staatsinteresse die Einräumung
der Enteignungsbefugnis an die Ansiedlungskommission erfordert.“ Der
preußische Staat würde seine oberste Pflicht, die Pflicht der Selbsterhaltung,
versäumen, wenn er die wirksamste Schutzmaßregel, die Ansiedlungs-
politik, in dem Augenblick aufgeben wollte, wo sie anfınge, dauernde Erfolge
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe III, 45ff.; Reclam-Ausgabe IV, 257.