STURM IM LANDTAG 491
zu verheißen. Ich sprach den Parteien, die meine Politik bis dahin unter-
stützt hatten, den Dank der Königlichen Staatsregierung aus für die Ein-
mütigkeit, mit der sie unter Zurückstellung gewichtiger Bedenken sich
bereit erklärt hätten, freie Bahn zu schaffen für die Fortsetzung unserer
Ansiedlungspolitik, einer Politik, durch die allein unser Staatswesen
bleiben könne, was es immer bleiben müsse, ein nationaler Staat. Der
Sitzungsbericht vom 16. Januar 1908 verzeichnet hinter meiner bei der
zweiten Beratung der Enteignungsvorlage im Hause der Abgeordneten
gehaltenen Rede*: „Lebhaftes Bravo rechts und bei den Nationalliberalen,
Zischen bei den Polen und im Zentrum. — Wiederholtes starkes Bravo
rechts und bei den Nationalliberalen, erneutes heftiges Zischen bei den
Polen und im Zentrum. Stürmisches Bravo rechts und bei den National-
liberalen.“ Ich habe selbst im Reichstag kaum stürmischere Debatten er-
lebt als die Redekämpfe im Preußischen Landtag anläßlich der Ent-
eignungsvorlage.
Noch schwieriger als im Abgeordnetenhaus war die Enteignungsvorlage
im Herrenhaus durchzubringen. Hier opponierte ihr, in gewählter Form,
würdig und maßvoll wie immer, aber mit großer Zähigkeit, mein verehrter
Gönner und Freund, der Kardinal Kopp. Auch der frühere Landwirtschafts-
minister Lucius, mein alter Freund Graf Mirbach-Sorquitten, Leo Buch
und andere treffliche Männer machten mir scharfe Opposition. Ich hielt
aber in stundenlangen Debatten während drei Tagen fest an meinem
Leitsatz. Ohne die Möglichkeit der Enteignung keine zweckmäßige An-
siedlungspolitik, ohne die Ansiedlungspolitik verlieren wir unsere östlichen
Marken. Ich mußte fünf- oder sechsmal im Landtag das Wort ergreifen,
im Herrenhaus mehrmals in derselben Sitzung. Gegenüber Rechtsbedenken,
die gegen die Enteignungsvorlage geltend gemacht worden waren, sagte ich:
„Die Kehrseite des lebendigen und warmen Rechtsgefühls, das unser Volk
auszeichnet, dieser seiner vielleicht schönsten Eigenschaft, ist seine politisch
oft gefährliche Neigung, sich in abstraktem Formalismus zu verirren, ist
der uns Deutschen seit jeher eigene Trieb, auch große politische Fragen
lediglich vom Standpunkte des Privatrechts zu beurteilen. Damit kommt
man in großen politischen Existenzfragen nicht durch. Die erste, die oberste
und vornehmste Pflicht des Staats ist, eich selbst zu behaupten. So machen
eg alle anderen Völker, und wenn wir es nicht ebenso machen, so kommen
wir unter die Räder.‘“ Gegenüber der Behauptung, daß unsere Ostmarken-
politik in Österreich mißfiele und uns dort schaden würde, erklärte ich:
„Es ist gut, alle Wetterzeichen am Horizont der auswärtigen Politik zu be-
achten und namentlich jedes Wetterleuchten. Aber vor jedem Stirnrunzeln
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe II, 90f.; Reclam-Ausgabe IV, 286.
Im
Hoerrenhaus