OHNE KAISERLICHEN SCHILD 495
Kaiser. Er war, wie sich eine englische Freundin von mir ausdrückte, die
Wilhelm II. seit seiner Jugend kannte: „Not false but fickle“. Je nach
seiner momentanen Stimmung wechselten seine Ansichten und Urteile.
Die Stimmung hing wieder zum großen Teil von den Menschen ab, die er
gerade gesehen hatte. Albert Ballin pflegte zu sagen: „Wenn ich zum Kaiser
gehen muß, pflege ich immer zu fragen, wer zuletzt mit ihm gesprochen hat.
Dann weiß ich auch, was er denkt.‘ Ich möchte übrigens ausdrücklich
betonen, daß unter den „Kaisertreuen‘“, die gegen mich intrigierten,
Unterschiede, zum Teil tiefgehende Differenzen in Art und Wesen bestan-
den. Einige waren nur Werkzeuge, die von den Höherstehenden benutzt,
aber gleichzeitig verachtet wurden. Als einige Jahre nach meinem Rücktritt
der Kaiser die Schweiz besuchte, nahm er Eugen von Röder zur Belohnung
für seine Kaisertreue mit auf die Reise. Der Vater Röder war deutscher
Gesandter, und ein ganz tüchtiger Gesandter, in der Schweiz gewesen.
Deutscher Gesandter in Bern war während dieses Kaiserbesuchs mein
Bruder Alfred. Als der Kaiser mit seinem Gefolge bei einem kleinen
Spaziergang auf einem Schweizer Bauernhofe weilte, wo sich in ländlicher
Unschuld auch eine Mistgrube breitmachte, bemerkte mein Bruder, wie sich
Röder in allzu großer Nähe dieser übel duftenden Grube befand, und gab
der Besorgnis Ausdruck, daß er in diese Grube fallen und so zu Schaden
kommen könnte. „Lassen Sie nur gut sein‘, meinte der neben meinem
Bruder stehende Max Fürstenberg, „in die Jauche gehört das Ferkel.“
Zu meinem Geburtstag hatte ich ein ungewöhnlich herzliches Telegramm
des Kaisers erhalten. Ich habe schon einmal gesagt, daß ich nach meinem
Rücktritt freiwillig und unaufgefordert dem Kaiser alle von ihm an mich
gerichteten Briefe und Telegramme zurückgereicht und nur von wenigen
Abschrift behalten habe. Ich erinnere mich aber mit Bestimmtheit, daß der
Kaiser in diesem letzten Geburtstagstelegramm, das er während meiner
Amtszeit an mich richtete, dem Wunsch und der Hoffnung Ausdruck gab,
ich möge ihm noch lange als Kanzler zur Seite stehen. Es folgte in dem
kaiserlichen Telegramm ein sehr kräftiger Satz, daß er sich weder durch
gegen mich gerichtete Angriffe noch durch Presseumtriebe oder parlamen-
tarische Beschlüsse an mir irremachen lassen würde. Loebell bat um die
Erlaubnis, diesen Beweis Allerhöchster Gnade und Allerhöchsten Ver-
trauens zu veröffentlichen. Ich habe das abgelehnt. Nachdem ich im No-
vember 1908 den Kaiser im Interesse des Landes wie der Krone vor allzu
häufigem Erscheinen auf der politischen Bühne gewarnt hatte, erschien es
mir nicht würdig, jetzt den kaiserlichen Schild vor mich zu halten. Ich
pflegte, solange ich Reichskanzler war, zu meinem Geburtstage viele
Glückwünsche zu erhalten. Donec eris felix, multos numerabis amicos.
Zum 3. Mai 1909 war die Zahl der Gratulanten besonders groß. Der General-
Bülows
00. Geburtstag