36 DER RUSSE BENCKENDORFF
mit einer gewissen Auszeichnung behandelt würde. Soveral sagte mir auch
dieser Tage in einem längeren Gespräch, das ich mit ihm hatte, daß König
Eduard außerordentlich befriedigt von Kiel zurückgekommen sei. Soveral,
der ein kluger Mann ist und den König vielleicht ebenso gut kennt wie
irgendein anderer, bemerkte, dem König habe stets außerordentlich viel
an guten politischen Beziehungen zu Deutschland gelegen. Der König sei
der Tradition und dem Gefühle nach für Deutschland, und Mißhelligkeiten
mit Deutschland wirkten geradezu ungünstig auf sein Wohlbehagen ein.
Soveral verhehlte mir nicht, daß wir irgendwo einen starken Feind
sitzen hätten, dessen Hand man vielfach verfolgen könne, der aber zuletzt
immer verschwinde. Er konnte oder wollte nicht sagen, wer er sei. Ich halte
Soveral wirklich nicht für so diabolisch, daß er mir dies gesagt hätte, wenn
er selbst der verborgene Feind wäre. Es ist das Interesse Österreichs, daß
die deutsche und die englische Politik sich in ähnlichen Bahnen bewegen.
Schon deshalb glaube ich nicht, daß Mensdorff gegen uns intrigiert. Außer-
dem habe ich gar keine Anzeichen dafür und nie gehört, daß er gegen uns
wirkt. Er wird wohl mitunter mitschwätzen und mitsympathisieren, wenn
eine Royalty glaubt, ein ‚grief* gegen uns zu haben, aber ich bin überzeugt,
daß er sich nicht politisch gegen uns stellt. Ich weiß sogar bestimmt, daß
es ihm höchst fatal war, als die deutsch-englischen Beziehungen sich ver-
schlechterten. Bleibt Benckendorff. Bei ihm erfordert das politische Inter-
esse schlechte Beziehungen zwischen England und Deutschland. Ich habe
mehrfach lange Gespräche mit ihm gehabt, worin er sich als sehr deutsch-
freundlich gibt. Er mag aber dem Grundsatz huldigen, daß gute Beziehun-
gen zwischen Rußland und Deutschland ebenso nützlich sind wie schlechte
zwischen Deutschland und England. Er ist sehr geschickt und glatt, und bis
ich lerne, daß ich mich getäuscht habe, wende ich auf ihn den Grundsatz
an: ä larron, larron et demi. Alles, was ich ihm sage, mag er unbeschadet
hier und in Petersburg wiederholen. Obschon ich ungern ohne feste Grund-
lage anklage, so kann ich nicht umhin, Ihnen mitzuteilen, daß mir von
verschiedenen Seiten zu Ohren gekommen ist, daß Benckendorff bei
König. Eduard den Besuch in Kiel zu hintertreiben versucht hat.
Von allen Gerüchten ist Hofgerüchten vielleicht am wenigsten zu trauen.
Der Consensus of opinion ist aber doch auffallend. Wenn man einen ver-
borgenen Gegner hat, den man nicht fassen kann, so wäre natürlich nichts
ungeschickter, als wollte man ihn in der Öffentlichkeit oder in der Presse
brandmarken. Es würde ibn dies nur um so bissiger, giftiger und vorsich-
tiger machen. Sich nichts merken lassen, beobachten, auf der Hut sein und
abwarten, bis man ihn mit etwas Tatsächlichem am Wickel hat, ist hier das
richtige Rezept. Bei dem Intrigenspiele gegen das Deutsche Reich muß auch
die Botschaft herhalten. Es amüsiert mich, zu erfahren, wie ich das eine