Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

498 GRAF WEDEL WILL NICHT 
eine Bürgschaft dafür, daß Sie mich nicht mißverstehen, wenn ich Ihnen 
ganz offen mit einem Anliegen komme, das Ihnen im ersten Moment 
vielleicht eigenartig erscheinen mag. Ich hatte anfangs die Absicht, Ihren 
Bruder Karl Ulrich als Vermittler in Anspruch zu nehmen, bei ruhigem 
Nachdenken erscheint es mir indessen viel richtiger und einfacher, mich 
vertrauensvoll an Sie direkt zu wenden. Ich erachte mich dazu sogar ver- 
pflichtet, da Sie wissen, daß ich Ihnen nicht nur in Freundschaft, sondern 
auch in aufrichtiger Dankbarkeit ergeben bin. Doch zur Sache, um Sie 
nicht zu lange aufzuhalten. Verschiedene Blätter nennen mich seit einiger 
Zeit unter denen, die berufen sein könnten, einmal Ihre Nachfolge anzu- 
treten. Darauf baute ich nicht, weil die Zeitungen viel dummes Zeug 
schwätzen. Auch auf privatem Wege sind Andeutungen in dieser Richtung 
an mich herangetreten. Demlege ich ebensowenig Bedeutung bei, indem ich 
mich indifferent oder ablehnend verhalte. Was mich aber frappiert hat, 
ist, daß mir vor etlichen Monaten zugetragen wurde, Sie hätten die Absicht 
geäußert, mich damals im Falle Ihres Abgangs zu Ihrem Nachfolger vorzu- 
schlagen. Im stillen hatte ich gehofft, daß Sie während unseres langen, 
intimen Tete-ä-töte im Januar mir eine bezügliche vertrauliche Andeutung 
machen würden, da ich meinerseits ja aus begreiflicher Diskretion die Frage 
nicht anrühren konnte. Wäre ersteres geschehen, so hätte ich mich Ihnen 
gegenüber sofort vertraulich und offen ausgesprochen, und dieser Brief 
wäre gegenstandslos geworden. Vielleicht war ja übrigens jene Nachricht 
überhaupt falsch. Dann würde ich freilich die Prämisse verloren haben, die 
Aussprache aber bleibt mir trotzdem Bedürfnis. Ohne mich eines Mangels 
an Bescheidenheit schuldig zu machen, glaube ich sagen zu dürfen, daß es 
mir an tiefem Pflichtgefühl und Patriotismus niemals gefeblt hat. Ich bin 
daher auch stets bereit, meinem kaiserlichen Herrn und meinem Vater- 
lande jedes Opfer zu bringen. Aber ich halte es ebenso für die vornehmste 
Pflicht jedes reifen und ehrlichen Mannes, sich selbst zu erkennen und 
gewissenhaft zu prüfen. Ein Amt zu übernehmen, dem man sich nach 
innerster, fester Überzeugung nicht gewachsen fühlt, erachte ich für eine 
leichtfertige und unpatriotische Handlung, denn um Versuche oder 
Experimente zu wagen, dazu stehen zu hohe Güter auf dem Spiel. Das 
Vertrauen anderer ist gewiß ein köstlich Ding, aber es verliert einen großen 
Teil seiner Bedeutung, wenn es nicht durch das Vertrauen auf das eigene 
Ich die unbedingt notwendige Ergänzung findet. Das Wollen reicht nicht 
aus, auf das Können kommt es an! Nun, da haben Sie meine Lage! Sapienti 
sat! Wenn man mir also einmal den Kanzlerposten anbieten sollte, so würde 
meine Antwort nach Pflicht und Gewissen ein unerschütterliches ‚Nein‘ sein, 
auch wenn die Konsequenz der Verzicht auf mein jetziges Amt sein müßte. 
Mein Ehrgeiz ist längst befriedigt, und wenn ich auch noch arbeitsfähig
	        
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