Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DAS ABSCHIEDSGESUCH 507 
Tochter Elise gelauscht, der Jugendliebe unseres alten guten Kaisers. 
Meine Frau sah der weiteren Gestaltung unseres Schicksals ebenso ruhig 
entgegen wie ich, denn sie war seit langem gewöhnt, das innere Glück über 
äußere Ereignisse und Eindrücke zu stellen. Es war ein schöner Junitag. 
Die Sonne blickte durch der Zweige Grün und malte die gewaltigen Schat- 
ten der alten Bäume des Reichskanzlergartens auf den freundlichen Rasen. 
Während wirüber allerlei plauderten, wurde mir eine verschlossene Mappe 
gebracht, in der sich eine Mitteilung des Chefs der Reichskanzlei befand, 
der mir die Verwerfung der Erbschaftssteuer anzeigte. Ich ließ einen meiner 
Sekretäre kommen und diktierte ihm ein Telegramm an den Kaiser, in 
dem ich Seiner Majestät das Resultat der Abstimmung meldete und gleich- 
zeitig unter Hinweis auf meinen dem Kaiser am 18. Mai in Wiesbaden 
gehaltenen Immediatvortrag bat, mir eine Audienz zu gewähren, um Seiner 
Majestät mein Abschiedsgesuch zu unterbreiten. Am nächsten Tage erhielt 
ich eine ziemlich kühle Antwort, in der mir mitgeteilt wurde, daß der Kaiser 
mich am 26. Juni in Kiel an Bord der „Hohenzollern“ empfangen wolle. 
Schon am 25. Juni traf eine große Anzahl von Briefen und Telegrammen 
bei mir ein, in denen Bedauern, Erbitterung und Zorn über die Abstimmung 
im Reichstag zum Ausdruck kam. In allen Zuschriften wurde die Haltung 
des Zentrums und noch mehr die der Konservativen als unpatriotisch 
getadelt. Die Wendung von dem „schwarz-blauen Block“ tauchte auf und 
die Versicherung, daß sich das Land unter dieses Joch nicht beugen würde. 
Kaisers alten Landen 
Sind zwei Geschlechter nur entstanden, 
Sie stützen würdig seinen Thron: 
Die Heiligen sind es und die Ritter; 
Sie stehen jedem Ungewitter 
Und nehmen Kirch und Staat zum Lohn. 
So spricht im zweiten Teil des „Faust‘‘ der Kanzler zu seinem Kaiser. 
Aber solche Zeiten waren vergangen, und für den Weiterblickenden konnte 
es von Anfang an nicht zweifelhaft sein, daß die durch die Politik des 
Herrn von Heydebrand eingeleitete Entwicklung im letzten Ende nur der 
Sozialdemokratie zum Vorteil gereichen würde. Ich erhielt übrigens schon 
in den ersten Tagen nach der Verwerfung der Erbschaftssteuer auch zahl- 
reiche Briefe konservativ gerichteter Männer, die ihr Bedauern über die 
Schwenkung der Konservativen ausdrückten. Männer wie Graf Kanitz und 
Graf Schwerin-Löwitz, um nur zwei der besten Konservativen zu nennen, 
waren von Heydebrand mehr überrumpelt als überzeugt worden. Mancher 
Konservative hatte bei der entscheidenden zweiten Abstimmung gegen die 
Erbschaftssteuer votiert, weil ihm vorgespiegelt worden war, es würde noch 
Telegra- 
phische Bitte 
an den Kaiser 
um Abschieds- 
audienz
	        
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