MENDELSSOHN VERBINDET MIT WITTE 41
Kriege von 1870/71, war ein echter Vertreter jener aus dem Kadettenkorps
bervorgegangenen, durch Pflichttreue, Tüchtigkeit und jede soldatische
und menschliche Tugend ausgezeichneten preußischen Offiziere, die uns,
wie Bismarck einmal sagte, niemand nachmacht. Auch er starb in jungen
Jahren.
Bei sorgsamer Prüfung unserer handelspolitischen Beziehungen zu
unseren Nachbarn hatte ich mich davon überzeugt, daß wir vor allem mit
Rußland zu einer Verständigung kommen müßten. War eine solche erreicht,
so würden Rumänien, Österreich-Ungarn, die Schweiz und die übrigen
Länder folgen. Ich war weiter der Ansicht, daß der russische Staatsmann,
mit dem wir uns am leichtesten verständigen könnten, der frühere Finanz-
minister, nunmehrige Ministerpräsident Sergeji Juljewitsch Witte war.
Aber wie an ihn herankommen? Ich erinnerte mich, daß mir Witte bei
unserer Begegnung in Petersburg gesagt hatte, es gäbe zwei große Finanz-
männer in Europa, zu denen er absolutes Vertrauen habe, Rothschild in
Paris und Ermst Mendelssohn in Berlin. Ich setzte mich mit letzterem in
Verbindung, der ein kluger Kopf, ein ausgezeichneter Geschäftsmann war
und unbedingte Zuverlässigkeit mit warmem Patriotismus verband. Er
war in der Lage, sich auf geheimem und sicherem Wege in Verbindung mit
Witte zu setzen. Ich ließ bei diesem anfragen, ob er geneigt sein würde,
mit mir über einen neuen Handelsvertrag direkt zu verhandeln und, sofern
dies der Fall wäre, wie seine Entsendung zu diesem Zweck am besten in
die Wege geleitet werden könnte. Witte hatte bis dahin in den ihm nahe-
stehenden russischen Blättern eine heftige, teilweise sogar sehr grobe
Polemik gegen die deutschen Wünsche und Ansprüche auf handelspoliti-
schem Gebiet führen lassen. Das machte mich nicht irre. „La langue“,
sagte Talleyrand, „a et& donnee a l’homme pour deguiser ses pensees.“
Nicht lange nachher konnte Herr von Mendelssohn mir mitteilen, daß Witte
gern mit mir direkt verhandeln wolle. Um hierzu die Möglichkeit zu bieten,
wäre der beste Weg, daß der Deutsche Kaiser in möglichst unauffälliger,
recht natürlicher Form diesen Gedanken in seiner Korrespondenz mit Kaiser
Nikolaus durchschimmern ließe. Kaiser Wilhelm, der mit meinen Plänen
einverstanden war, gestattete mir, ein oder zwei in diesem Sinn redigierte
Briefe an den Zaren aufzusetzen. Wir sagten ungefähr: Um die Beziehungen
zwischen Rußland und Deutschland von jeder Trübung frei zu halten,
würde es sich empfehlen, dafür zu sorgen, daß die langweiligen Zollplacke-
reien aufhörten und auf wirtschaftlichem Gebiet eine Verständigung herbei-
geführt würde. Wenn nur deutsche Geheimräte und russische Tschinowniks
mit dieser Aufgabe betraut würden, wäre kein Ende abzusehen. Praktischer
wäre es, zwei wirkliche Staatsmänner, also die größte wirtschaftliche und
finanzpolitische Autorität in Rußland, Herrn Witte, und den deutschen
Der
Handels-
vertrag mit
Rußland