Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

WITTE ÜBER SEINE ENTLASSUNG 43 
gehässigen Angriffe getrieben haben, die später von der Höhe seiner Reichs- 
kanzlerstellung in offener Reichstagssitzung Bethmann Hollweg während 
des Weltkrieges gegen den inzwischen zum G Nandschaftsdirektor in 
Königsberg gewählten Kapp richtete, den er dadurch um Amt und Brot 
brachte. 
In Norderney setzte ich mich von vornherein mit Witte auf den Fuß, 
daß ich ihn bat, abends bei uns in unserer Villa zu essen. An das Diner 
schloß sich dann gewöhnlich eine gemütliche, manchmal zwei und selbst 
auch drei Stunden dauernde Plauderei. Witte sprach ungeniert über alles, 
was die erste Voraussetzung ist, bei häufigerem Zusammensein nicht lang- 
weilig zu wirken. Er war bei seinem Monarchen in Ungnade gefallen und 
grollte ihm. Er liebte auch die Kaiserin Alexandra Feodorowna nicht, die er 
beschuldigte, ihren Gemahl gegen ihn aufgestachelt zu haben. Sie hätte sich 
hierzu des bewährten Mittels bedient, dem Zaren zu sagen, die Petersburger 
Gesellschaft wäre davon überzeugt, daß er eine Marionette in den Händen 
von Witte wäre. Die Kaiserin hätte sogar eine kleine Karikatur gezeichnet, 
die Witte mit seiner massigen Figur und seinen eher groben Gesichtszügen 
darstellte, wie er einen kleinen Hampelmann in der Hand hielt, der die 
feinen Züge des angeblichen Selbstherrschers trug. Mit gutem Humor 
schilderte Witte, wie die montenegrinischen Großfürstinnen es anfingen, mit 
Hilfe eines französischen Spiritisten, eines Monsieur Philippe, die Zarin 
und den Zaren in ihr Garn zu ziehen. Der Spiritist ließ den Geist des Kaisers 
Alexander III. erscheinen. Gefragt, welche Ratschläge er dem Sohn zu geben 
habe, mahnte der Geist zu treuem Festhalten an dem Vermächtnis des 
Vaters und insbesondere an dem Bündnis mit Frankreich. Schließlich aber 
rief er mit Grabesstimme dem erschrockenen Sohn zu: „Et, surtout, 
n’oublie pas de donner beaucoup d’argent au Prince de Montenegro, mon 
meilleur ami.‘“ Ich nahm mir vor, meinerseits dafür zu sorgen, daß an unse- 
rem Hofe und in der hellen Berliner Luft solches Blend- und Zauberwerk 
nicht um sich greife. Seine Entlassung schilderte mir Witte folgender- 
maßen: „Als ich meinen üblichen Vortrag, den Daklod, wie wir auf rus- 
sisch sagen, an dem festgesetzten Tage beendet hatte, sah der Kaiser 
Nikolaus einige Zeit verlegen vor sich auf seinen Schreibtisch. Dann sagte 
er mir mit sanfter Stimme, ohne mich anzusehen, er habe den Eindruck, 
daß meine Gesundheit in der letzten Zeit gelitten hätte, er wolle nicht, daß 
ich mich überarbeite. Deshalb enthebe er mich meines Postens als Finanz- 
minister und ernenne mich zum Vorsitzenden des Minister-Konseils.“ Witte 
fuhr fort, wobei dem heftigen Mann der Zorn noch nachträglich die Backen 
rötete: „Da verlor ich die Geduld. So viel Falschheit und Heuchelei empör- 
ten mich. Ich sagte dem Kaiser: ‚Ich verstehe nicht, warum Sie eine sulche 
Komödie mit mir aufführen. Die Stellung des Präsidenten des Minister-
	        
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