„GRÄSSLICH VERFAHREN“ 65
Ich: Das würde nur die Folge haben, daß der Zar uns auffordern würde,
ihm gegen eine Gefahr, die uns so groß erscheint, bewaffnete Hilfe zu leisten.
Damit wäre der Krieg zwischen uns und England gegeben, den ich zu ver-
meiden wünsche und seit Jahr und Tag zu vermeiden mit Erfolg bemüht
bin, ein Konflikt, den Sie, Majestät, ja auch gar nicht wünschen. Leider
sehen Sie aber die Weltlage nicht richtig. Darf ich ganz offen sein? Eure
Majestät haben l’esprit batailleur. Aber Sie haben nicht wie Napoleon 1.
und Karl XII. von Schweden, wie Friedrich der Große une äme guerritre.
Sie wollen ja gar nicht den Krieg! Sie haben ihn nie gewollt und werden ihn
nie wollen. Sie haben mir oft selbst gesagt, Ihr Ideal wäre, wie Friedrich
Wilhelm I. vorzuarbeiten, das Rüstzeug zu schmieden, das einst Ihr Sohn,
noch besser Ihr Enkel brauchen soll. Warum bei innerlich ganz friedfertiger
Gesinnung die Nachbarn entweder reizen oder mißtrauisch machen ?
Der Kaiser (durch die letzten, mit Nachdruck gesprochenen Worte er-
nüchtert): Lieber Bernhard, wie denken Sie sich denn einen Ausweg aus
dieser durch die Schwäche des Zaren, die Perfidie der Engländer und die
Selbstsucht der Franzosen so gräßlich verfahrenen Situation?
Ich: Es gilt, zweierlei zu vermeiden. Einmal, daß unsere Beziehungen zu
Rußland durch den Krieg geschädigt werden. Zu diesem Zweck müssen
wir unterlassen, was uns dort als unsichere und namentlich als schaden-
frohe und hinterlistige Nachbarn erscheinen lassen könnte. Andererseits
wärc es ein grober Fehler, uns von den Russen gegen Japan oder gar gegen
England vorschieben zu lassen. Beide Klippen werden wir um so sicherer
umschiffen, je mehr wir uns einer besonnenen Haltung befleißigen. —
Nicht lange nach diesem Gespräch trafen Nachrichten ein, die für die
russischen Waflen sehr ungünstig lauteten. Es war mir gelungen, den Kaiser
während des ganzen Jahres 1904 gegenüber dem Konflikt im fernen Osten
trotz seiner innerlichen Erregung nach außen zu einem verständigen Ver-
halten zu bestimmen. Während sich der Kaiser im Spätherbst 1904 in
Schlesien aufhielt, wo er gern in dieser Jahreszeit den großen Jagden der
dortigen Magnaten beiwohnte, hatten sich allerlei Einflüsse geltend ge-
macht, die aufreizend auf den hohen Herrn einwirkten. Hierzu trug natür-
lich auch die immer deutlicher hervortretende gehässige Stimmung nicht
der englischen Regierung, aber weiter Kreise des englischen Volkes gegen
uns bei. Alle militärischen Aktionen der Russen im fernen Osten standen
unter einem ungünstigen Stern. Am meisten aber war dies der Fall bei der
Fahrt der russisch-baltischen Flotte nach Ostasien, auf die Kaiser Nikolaus
und der russische Hof große Hoffnungen gesetzt hatten. Die Führung der
Flotte zeigte von Anfang an ein verhängnisvolles Ungeschick. Beim Passieren
der Doggerbank eröffneten die Russen ein heftiges Feuer auf Fahrzeuge,
deren Bauart ihnen unbekannt war und die sie für japanische Torpedoboote
5 Bülow II
Der
Doggerbank-
Zwischenfall