Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DIE REDE DES ZIVILLORDS LEE 71 
tasie des Königs Friedrich Wilhelm IV. die Wände der Kapelle geschmückt 
hatte. Da sah man neben dem biederen, verständigen und nüchternen 
Friedrich Wilbelm III. den jähzornigen und wilden Frankenkönig Chlod- 
wig, neben David mit der Harfe Friedrich Barbarossa mit wallendem Barte 
und steilem Reichsschwert, neben dem glaubensstarken Gustav Adolf den 
rationalistischen großen König. 
Aufden Gottesdienst in der Schloßkapelle folgte die Defiliercour, bei der 
mir die Blässe des Kaisers auffiel. Nach der Cour hörte ich von Tirpitz, daß 
die Denkschrift, die am Ausgang des verfiossenen Jahres der Erste Lord 
der englischen Admiralität, der Earl of Selborne, dem House of Commons 
vorgelegt hatte, den Kaiser stark impressioniert habe. In dieser Denkschrift 
wurde als Ziel der Admiralität bezeichnet, die ganze englische Marine 
kriegsbereit in dem Sinn zu halten, daß sie stets gerüstet sei, einen sofortigen 
Schlag führen zu können. Die Heimatflotte solle künftig Kanalflotte, die 
jetzige Kanalflotte dagegen Atlantische Flotte genannt werden. Es lag auf 
der Hand, daß diese Dislokation ein Zugeständnis an die durch unsere 
Schiflsbauten mehr und mehr erregte englische öffentliche Meinung war. 
Es war auch ziemlich wahrscheinlich, daß die Bildung einer besonderen 
Atlantischen Flotte die englische Antwort auf die wenig glückliche Idee des 
Kaisers war, sich „„Admiral of the Atlantic“ zu nennen. Der Veröffentlichung 
der Denkschrift des Earl of Selborne war ein Artikel der „Army-and-Navy- 
Gazette‘ vorausgegangen, in dem es hieß: „Früher hätte England eine 
Flotte, von der wir Grund hatten anzunehmen, daß sie zu unserem Schaden 
gebraucht werden könne, einfach vernichtet. Wir wollen offen aussprechen, 
daß der gegenwärtige Augenblick ganz besonders günstig ist, zu erklären, 
daß diese Flotte fürderhin nicht vergrößert werden solle. Die anderen 
Mächte würden einer solchen Aktion wahrscheinlich mit schlecht verhehltem 
Vergnügen, wenn nicht mit offener Billigung zuseben.“ Nicht lange nachher 
hatte der Zivillord der englischen Admiralität Mr. Lee eine Rede gehalten, 
in der er erklärte, England müsse Deutschland den Ausbau seiner Flotte 
verbieten. Als der Führer der liberalen Opposition, Mr. Campbell Bannerman, 
in der Adreßdebatte im Unterhaus sein Bedauern darüber aussprach, daß 
Lee Deutschland grundlos provoziert habe, nahm der Premierminister 
Balfour den streitbaren Zivillord in Schutz, erklärte den Tadel des Führers 
der Opposition für „unedelmütig‘‘ und lobte mit Pathos den Fleiß und die 
große Geschicklichkeit von Lee, die für sein Land von hohem Werte wären. 
Es war nicht zu bestreiten, daß bei Beginn des Jahres 1905 viel auf die 
erregbaren und labilen Nerven des Kaisers einstürmte. Am 2. Januar 
kapitulierte Port Arthur mit 8 Generälen, 4 Admirälen, 57 Stabsoffizieren, 
über 30000 Kombattanten, über 50 Geschützen und 4 Schlachtschiffen, 
was die Erregung und, voreingenommen wie er gegen die „‚Japs‘ war, den 
Dislokation 
der 
englischen 
Flotte
	        
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