Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

EIN „DORF-POLITIKER“ 103 
welche glühender Patriotismus und weise Lebenserfahrungen Ihnen diktiert 
haben. Möchten doch alle, alle preußischen und deutschen Patrioten, be- 
sonders die sogenannten ‚regierenden‘ Staatsmänner — die freilich das 
Regieren, d.h. jegliche Tatkraft und Initiative, aufgegeben haben und 
die Zügel immer mehr am Boden schleifen lassen — diese Lehren und 
Mahnungen nicht nur hören, sondern auch beherzigen, damit sie ihre Pflicht 
tun und sich endlich als Männer zeigen! Und möchten doch auch die Par- 
teien und ihre eitlen, ehrgeizigen Führer, die, weit entfernt von jedem 
sclbstlosen Patriotismus, nur in bebender Angst auf die törichten, un- 
klaren und wüsten Stimmen der ‚Masse‘ und ihrer charakterlosen Presse zu 
lauschen sich mehr und mehr gewöhnt haben, sich durch Ihre ernsten War- 
nungen endlich wieder an ihre nationale Pflicht gegen das Vaterland er- 
innern lassen!“ Der wackere Roon wäre kein Deutscher und insbesondere 
kein deutscher Parteimann gewesen, wenn er in seinem Brief an mich nicht 
auf so verständige Worte einen zornigen Angriff gegen eine andere Partei 
hätte folgen lassen, die doch in den deutschen Lebensfragen auf dem 
gleichen Boden stand wie er selbst. „Ich erhebe ausdrücklichen Protest da- 
gegen und Euer Durchlaucht hoffentlich mit mir, daß liberale Zudringlich- 
keit Sie, weil Sie ein einziges Mal Ihrer von der der Konservativen Partei ab- 
weichenden Ansicht — und zwar in einer bestimmten Frage — öffentlich 
Ausdruck gegeben haben, für sich in Anspruch zu nehmen wagt! Nein, wer 
eine solche Rede halten konnte und durch seine glühende Liebe zum preu- 
Bischen und deutschen Vaterland gezwungen war, sie so zu halten, der kann 
nicht zu den verwässerten, kraft- und marklosen Liberalen der heutigen 
Zeit gehören und darf nicht dulden, daß man ihn diesen zurechnet; und 
umgekehrt: seit Treitschke seine Augen schloß, ist niemals wieder ein Libe- 
raler imstande gewesen oder wird es je sein, eine solche Rede zu halten wie 
die Bülow-Rede auf dem Schlachtfeld von Dennewitz! Mit der Bitte um 
Nachsicht für den ‚Dorf-Politiker‘, der nicht schweigen konnte, sowie mit 
unterthänigen Empfehlungen an die Frau Fürstin, Ihre Gemahlin, habe ich 
die Ehre, zu verbleiben Euer Durchlaucht stets treu ergebener, dankbarer 
Roon.“ 
In dem gerade für Ostpreußen so bedeutungsvollen Jahr 1913 ging Graf 
Hans Kanitz heim, einer der besten Söhne dieser Provinz, der Sproß einer 
Familie, die an dem Aufschwung von 1813 ruhmvollen Anteil gehabt hatte, 
der Schloßherr von Podangen, das Schenkendorf besungen hat, wo das 
Vesta-Feuer preußischer Vaterlandsliebe durch Generationen gehütet 
worden war. Nach dem Tode von Kanitz schrieb mir Mirbach-Sorquitten, 
der an seinem Totenbette gestanden hatte: „Bei einer der letzten Unter- 
redungen, die ich mit Kanitz hatte, berührten wir die Nachfolger des 
Fürsten Bismarck in ihrer Eigenschaft als Reichskanzler. Kanitz bemerkte
	        
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