Rückblick auf
die Silberne
Hochzeit
108 FERN VON BERLIN
Nuß- und Kastanienwälder, dann wieder durch Laubwälder, die an die ge-
liebte deutsche Heimat erinnerten. Ich ging durch die engen Gassen mir
wohlbekannter alter Städtchen, wo noch immer die Maiskolben in dichter
Reihe unter dem Dache hingen. Ich bestieg zu Fuß die Dent de Jaman, die
Rochers de Naye und den Chamossaire, die ich zum ersten Male als Student
sechsundvierzig Jahre früher und dann zum zweiten Male vor einund-
dreißig Jahren als junger Botschaftssekretär erklettert hatte. Ich hörte
wieder den Klang der Glocken von St. Saphorin. Umgeben von dieser herr-
lichen Natur, deren Anblick wohl angetan war, die Gedanken von persön-
lichen Empfindungen abzuziehen, sie auf das Große und Dauernde zu
lenken und dadurch die Unruhe der Seele zu zerstreuen, empfand ich, ähn-
lich wie bei meinem Abschied von Berlin und fast noch lebhafter, wieviel
Dank ich der Vorsehung schuldete, die mich durch alle Wechsel, die An-
fechtungen und Stürme meines Lebens zwar, wie die guten Herrnhuter
singen, bisweilen wunderlich, aber doch wunderbarundgnädig geführt hatte:
Wie ein Adler sein Gefieder
Über seine J ungen streckt,
Also hat auch hin und wieder
Mich des Höchsten Arm bedeckt,
Gottes Engel, die er sendet,
hat das Böse, so der Feind
Anzurichten war gemeint,
In die Ferne weg gewendet.
Alles Ding währt seine Zeit,
Gottes Lieb’ in Ewigkeit.
Ich empfand, wieviel Glück Gott mir in meiner Frau geschenkt hatte,
die mich in allem verstand, in vielem ergänzte, die, wie ich, den Frieden der
Seele und das innere Glück über alle äußeren Güter stellte, die mir eine
schöne und harmonische Häuslichkeit geschaffen hatte, in der wir uns vor
der Welt verschließen konnten, ohne Haß, aber geschützt wie von einer
undurchdringlichen Mauer, ein Asyl, in dem die Mißklänge der Politik, die
mit ihr unzertrennbar verknüpften Bitterkeiten und Enttäuschungen mich
nicht aus dem inneren Gleichgewicht zu bringen vermochten.
Vor meinem geistigen Auge stieg die Erinnerung an den Tag unserer
Silbernen Hlochzeit auf, die wir vor nahezu drei Jahren, am 9. Januar 1911
in Rom gefeiert hatten. Papst Pius X. hatte uns zu diesem Anlaß in be-
sonderer Audienz empfangen. Als wir die päpstlichen Gemächer durch-
schritten, gedachte ich des Papstes Leo XIII., den ich nicht laıge vor
seinem Tode in denselben Räumen gesehen hatte. Leo XIII. mußte auf
jeden, der ihm nahe trat, den Eindruck einer großen Persönlichkeit machen.
Ich habe kaum einen Menschen gesehen, bei dem der Geist so sehr alles