I. KAPITEL
Die politische Lage nach Bülows Rücktritt « Letzte Unterredungen mit Betlmann
Hollweg « Letzte Staatsministerialsitzung + Einzelheiten zu Betlumanns Amtsantritt
ch habe schon angedeutet, daß ich nicht ohne Sorgen für unsere
Zukunft aus dem Reichskanzlerpalais auszog. Warum erfüllten mich, als
ich nach erfolgter Genehmigung meines Abschiedsgesuches das Fallreep der
„Hohenzollern“ herunterstieg, als ich einige Tage später von Berlin abfuhr,
bange Ahnungen, die meinem Naturell fernlagen? Ich neigte nie zu
Ilypochondrie. „Nil desperandum“ war ein alter Wappenspruch meiner
Familie, eingraviert auf dem Petschaft meines Großonkels und Paten
Karl von Bülow, eines bodenständigen, strammen Altmecklenuburgers. Als
Großherzoglich Mecklenburg-Schwerinscher Kammerherr und Vize-
Kanzleidircktor war er im Obotritenlande einer der überzeugtesten Ver-
teidiger der altständischen Verfassung gewesen. Bei aller politischen Rück-
ständigkeit war er ein Mann von unverwüstlicher Frische. „Nu erst recht,
und so dull als möglich!“ pflegte er nach Rückschlägen zu sagen. Warum
war ich bewegt, fast erschüttert, als mir von unbekannter Seite, am Abend
bevor ich Berlin verließ, ein von dem bereits verstorbenen Dichter Ernst
vonWildenbruchverfaßtes, baldnach dem Rücktrittdes Fürsten Bismarck
entstandenes schwermütiges Gedicht zugesandt wurde, in dem es hieß:
Wenn ich an Deutschland denke, tut mir die Secle weh,
Weil ich ringsum um Deutschland die vielen Feinde sch.
Mir ist zur Nacht die Ruhe des Schlafes dann zerstört,
Weil stets mein Ohr das Flüstern und böses Raunen hört,
Mit dem sie sich bereden zu Anschlag und zu Rat,
Um Deutschland zu verderben durch eine schwere Tat.
Dann kehren die Gedanken bei ferner Zukunft ein
Und fragen: Wird denn jemals das Deutschland nicht mehr sein ?
Und wenn ich also denke, wird mir so wch, so schwer,
Wie wär die Welt, die reiche, alsdann so arm und leer!
Meine Sorgen galten nicht dem deutschen Volk, das, wenn ihm ein hohes
und edles Ziel gezeigt und wenn es richtig geführt wird, in seiner Tiefe