Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

EINE FRIEDENSMÖGLICHKEIT VON 1916 251 
staatssckretär im Auswärtigen Amt und späteren Gesandten beim Päpst- 
lichen Stuhl, Herrn von Mühlberg, der aus Lugano, wo er sich nieder- 
gelassen hatte, öfter zum Besuch zu uns nach Luzern kam. Auch sonst 
erfuhr man in diesem neutralen Lande, in dem Stimmungsberichte und 
Informationen aus allen Ländern zusammenliefen, manches von Interesse. So 
erbielt ich auf vertraulichem Wege Nachricht über die Auffassung und das 
Urteil des Grafen Ledochowski, des Generals der Gesellschaft Jesu, der 
sich nach Ausbruch des Krieges mit der Zentralleitung seines Ordens in 
Zizers bei Chur etabliert hatte. Als im Februar 1916 der Zar einen aus- 
gesprochenen Konservativen, das Reichsratsmitglied Stürmer, zum 
Ministerpräsidenten ernannte, sagte Graf Ledochowski zu einem meiner 
Schweizer Bekannten: ., Jetzt scheint mir eine Friedensmöglichkeit gegeben. 
Ich höre, daß Kaiser Nikolaus dringend den Frieden wünscht, natürlich 
nicht aus Liebe für die Zentralmächte, sondern weil er bei weiterer Fort- 
setzung des Krieges für seinen Thron, sogar für sein Leben fürchtet. 
Stürmer, der trotz seines deutsch klingenden Namens ein Vollblutrusse ist, 
teilt die Ansicht seines Souveräns. Auch Stürmer ist überzeugt, daß, wenn 
der Krieg fortdauert, der Sturz des Hauses Romanow sicher ist.“ Graf 
Ledachowski schloß: „Jetzt kommt alles darauf an, daß von Berlin und 
natürlich auch von Wien diese große Chance schnell und geschickt benutzt 
wird.“ Über die Auffassung des Grafen Ledochowski, dessen Informationen 
in Berlin verständigerweise sehr hoch hätten bewertet werden müssen, war 
Herr von Bethmann Hollweg eingehend unterrichtet worden. Das war im 
Februar 1916. Zwei Monate später, als der neue russische Ministerpräsident 
sich kaum im Sattel zurechtgesetzt hatte, hielt Bethmann mit dem Eigen- 
sinn des unbelehrbaren Doktrinärs am 5. April eine Rede, in der er aus- 
führte: „Das Polen, das der russische Tschinownik, noch rasch Be- 
stechungsgelder erpressend, das der russische Kosak brennend und 
raubend verlassen hat, das alte von den Russen unterjochte Polen ist ein 
überwundener Standpunkt. Den Status quo ante kennt nach so ungeheuren 
Geschehnissen die Geschichte nicht. Selbst die Russen werden anerkennen 
müssen, daß die Welt sich die Rückkehr des Tschinownik an den Platz. wo 
inzwischen ein Deutscher, ein Österreicher, ein Pole redlich für das 
unglückliche Polen gearbeitet haben, nicht vorstellen kann. Niemals wird 
Deutschland die von ihm befreiten Völker zwischen der baltischen See und 
den wolhynischen Sümpfen wieder dem reaktionären russischen Regiment 
ausliefern, möge es sich nun um Polen, Balten, Litauer oder Letten handeln.“ 
Auf diesen Fußtritt für Stürmer und dessen unglücklichen Monarchen 
folgte ein halbes Jahr später am 5. November 1916 die gemeinsame Er- 
klärung Deutschlands und Österreich-Ungarns über die Errichtung eines 
selbständigen Reiches Polen. Vierzehn Tage später mußte gegenüber der
	        
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