Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

DIE LIQUIDATION 323 
größte Schmerz seines Lebens gewesen, aber er verzweifle nicht an der 
Zukunft des Landes. Im Laufe der Beratungen hatte General Chanzy, der 
Oberkommandant der Loire-Armee unter Gambetta, gegen den Frieden 
protestiert. Die Nationalversammlung lauschte seinen Worten mit Be- 
wegung, mit Sympathie, mit tiefer Achtung. Und doch hatte Chanzy nicht 
entfernt Erfolge aufzuweisen wie viele unserer Generäle im Weltkriege, wie 
Kluck und Below, der Feldmarschall Mackensen und der Feldmarschall 
Bülow, wie Eichhorn und Woyrsch, wie Scholz und Litzmann, wie der 
deutsche Kronprinz und der Kronprinz von Bayern, wie der Feldmarschall 
Leopold von Bayern, wie noch manche andere, wie vor allem Hindenburg 
und Ludendorff. Der Ruhm von Chanzy, von Faidherbe, von Jaureguiberry, 
vor allem von Leon Gambetta beruhte und beruht darauf, daß sie bis 
zuletzt, envers et contre tout et tous, den Krieg fortsetzen wollten. Darum 
ließ das siegreiche Frankreich das Herz von Gambetta, dessen Leib in Nizza 
beigesetzt worden war, in das Pariser Pantheon überführen. Es ist das die 
Gesinnung, in welcher einst der römische Senat dem von Hannibal bei 
Cannae geschlagenen Konsul C. Terentius Varro entgegenzog und ihm 
dankte, daß er nicht am Vaterlande verzweifelt hätte. 
Bei uns machte sich nach unserer Niederlage ein anderer Geist breit. 
Das Wort „Kriegsverlängerer‘‘ wurde zum Schimpfwort, während es in 
Frankreich wie im alten Rom ein Ehrentitel war. Die Stimmung, in der 
die damals bei uns leitenden Männer die Erkenntnis der Niederlage auf- 
nahmen, war wesentlich anders, weniger mutig, weniger geschlossen, 
weniger patriotisch. Mit Schmerz und Beschämung gedenkt der Deutsche 
der Haltung der Nationalversammlung in Weimar bei der Annahme des 
Versailler Diktats. Kein Mitglied der Versammlung, insbesondere kein Mit- 
glied der drei regierenden Parteien, geschweige denn der Regierung, fand 
eine Rede, einen Gedanken, auch nur ein Wort, das der Tragik des Augen- 
blicks entsprochen hätte, um in schwärzester Nacht der Hoffnung Ausdruck 
zu geben, daß auch für das unglückliche Deutschland bessere Tage, Tage 
früheren Glücks und früherer Größe zurückkehren würden. Im Gegenteil! 
In den Kreisen der Mehrheitsparteien fehlte sogar nicht ein gewisses Gefühl 
des Aufatmens. Für manchen war der Friede und sein Abschluß vor allem 
die Liquidation des alten Systems, des monarchischen, militärischen, 
Bismarckschen, des großen und ruhmvollen Deutschlands, eine Liquidation, 
welche die zur Ohnmacht verurteilten nationalen Kreise mit Schmerz 
erfüllen mochte, wegen der zu trauern aber in dem einer neuen, gemüt- 
licheren Zukunft entgegengehenden, demokratischen Deutschland für sie 
kein Anlaß wäre. Wie mit einem Scheinwerfer wird die Stimmung, welche 
gewisse Köpfe beherrschte, durch die Verse beleuchtet, die der damals 
mächtigste Politiker im neuen Deutschland, der eigentliche Führer des 
21* 
Die Aufnahme 
des Versailler 
Diktats
	        
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