Die Halloren
78 EIN URTEIL ÜBER MOLTKE
Auch in Halle ritten wir. In der Universitätsreitbahn unterrichtete uns
der Universitätsreitlehrer Andre&, ein alter Offizier, der uns in der Hohen
Schule unterwies: im spanischen Tritt, in der Passade und im Piaffieren.
Das Pferd, auf dem ich diese Kunststücke ausführte, hieß „Marquis“. Eine
Äußerung des wackeren alten Andre ist mir im Gedächtnis geblieben, wie
ich jene von mir früher erwähnte Bemerkung unseres Frankfurter Arztes
Stiebel über Schopenhauer nie vergaß. Als wir Andre im März 1866 frugen,
was er von dem Chef des Generalstabs,- Hellmuth von Moltke, halte, war
seine Antwort ein einziges, im echten Brummton eines alten pensionierten
Offiziers herausgestoßenes Wort: „Prinzessinnentänzer!“ Es war wirklich
nicht möglich, den großen Schlachtenlenker, den weisen, stillen Denker
Moltke unrichtiger zu charakterisieren, wie es auch nicht möglich war, sich
von Arthur Schopenhauer ein falscheres Bild zu machen, als dies sein
Frankfurter Zeitgenosse tat. Der Sohn Andres hat später als Redakteur der
Fachzeitschrift „Der Sport‘ viel für die Entwicklung der Reiterei getan.
In Halle ritten wir zusammen im Freien. Ich habe manche Hecke und
manchen Graben mit ihm genommen.
Außer Turnen, Reiten und Kegeln wurde auch Schwimmen in Halle mit
Lust betrieben. Wir hatten schon im Main und im Zierker See geschwommen,
erhielten aber jetzt methodischen Unterricht durch die wackeren Halloren,
von denen die Sage ging, daß sie von den fabelhaften Kelten abstammten.
Sie besaßen das Monopol wie der Ausbeutung der Salzquellen, von denen
der Gutjahrbrunnen noch benutzt wurde, so auch des Schwimmunterrichts.
Sie trugen eine malerische Tracht: kurze Hosen, bunte Strümpfe, eine lange
Weste mit kugelartigen silbernen Knöpfen, dazu einen Dreispitz. Eine Ab-
ordnung der Halloren fuhr in jedem Jahr am Neujahrstag nach Berlin, um
Ihren Majestäten, dem König und der Königin, je eine Wurst und sechs in
der Salzquelle gesottene Eier zu überreichen. Solange ich Ministerpräsident
war, haben sie auch mich, in Erinnerung an den mir einst erteilten Unter-
richt, mit solchen Gaben erfreut. Unter ihrer sachverständigen Leitung
übte ich mich fleißig im Rückenschwimmen und im Paddeln, im Wasser-
treten und im Kopfsprung, der aber nicht zum Froschsprung werden durfte,
vor allem im Tauchen und Schwimmen unter Wasser. Gern ließen wir uns
zum Schluß am Wehr von den kühlen Wellen bespülen.
Ich hätte damals nicht gedacht, daß die freundliche Saale einmal in
der Revolution der Schauplatz eines der abscheulichsten Verbrechen
werden sollte. Nach dem Novemberumsturz überfiel der Pöbel in Halle den
Major von Klüber und warf ihn in die Saale. Der Unglückliche versuchte,
sich durch Schwimmen zu retten. Die Menge schleuderte Steine und Eisen-
stücke nach ihm. Obwohl aus mehreren Kopfwunden blutend, gelang es
dem tapferen Mann, das andere Ufer zu erreichen. Da hackten ihm die