Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

BISMARCK GIBT SICH KEINE BLÖSSEN 91 
durchdrungen von der Richtigkeit der horazischen Warnung: Vis consilii 
expers mole ruit sua, die nicht von der Vernunft geleitete Kraft bricht in 
sich selbst zusammen. Bismarck ging mit einer Energie vor, wie sie die 
preußische Politik seit dem großen König nicht mehr betätigt hatte. Aber 
er war auch bestrebt, sich alle Vorteile zu sichern, vermeidbaren Gefahren 
auszuweichen, ungünstige Zwischenfälle nach Möglichkeit zu verhindern, 
die öffentliche Meinung der Welt für sich zu gewinnen. 
Als Frankreich, England und Rußland eine Konferenz vorschlugen, um 
den Ausbruch des Krieges in Deutschland zu verhindern, wurden die Pläne 
und Absichten des preußischen Ministerpräsidenten durch diese Inter- 
vention natürlich auf das empfindlichste durchkreuzt. Nichtsdestoweniger 
nahm er die Einladung zur Teilnahme an Friedensberatungen in 
Paris mit Empressement an. In einem Rundschreiben an die königlichen 
Vertreter in Paris, London und St. Petersburg erklärte er, Seine Majestät 
der König von Preußen schließe sich den Gefühlen der drei Höfe von Paris, 
London und St. Petersburg an. „Sehr gern‘ nehme er den Vorschlag der 
drei Mächte an. Die preußischen Bevollmächtigten in Paris würden sich 
mit den Vertretern der drei Mächte in Verbindung setzen, um mit ihnen die 
verschiedenen Fragen zu besprechen, die in diesem Augenblick den Frieden 
Europas bedrohten. 
Mit Schaudern und mit Schmerz denkt der Patriot daran, wie verschieden 
im Unglückssommer 1914 das Verhalten der damaligen Reichsleitung war. 
Bismarck wollte 1866 den Krieg, wie ein gewissenhafter Arzt unter 
Umständen einen chirurgischen Eingriff für nötig hält. Aber seine Taktik 
war so umsichtig, so vorsichtig, vor allem so geschickt, daß er sich keine 
Blößen gab. Im Sommer 1914 wollte die deutsche Regierung gewiß nicht 
den Krieg, ebensowenig das deutsche Volk. Aber Bethmann und seine Mit- 
arbeiter operierten so ungeschickt, daßsie uns mit der Schuld am Kriege zu be- 
lasten schienen. Anders Bismarck 1866. Trotz des Drängens der militärischen 
Instanzen, obwohl der große Moltke erklärte, der Sieg hänge vom schleu- 
nigsten Losschlagen ab, bestand Bismarck darauf, die Einladung zu den 
Friedenskonferenzen in Paris nicht abzulehnen. Von der Bedeutung der 
Armee für Preußen und Deutschland war niemand mehr durchdrungen als 
Bismarck. Er hat sich vom ersten bis zum letzten Tage seiner Amtsführung 
als preußischer Offizier gefühlt. Er hat das treffende und schöne Wort ge- 
sprochen, daß ohne die Armee das Deutsche Reich weder zu errichten 
gewesen wäre, noch aufrechtzuerhalten sei. Trotzdem hielt er immer an 
dem Primat der Politik fest, d.h. daran, daß letzten Endes politische 
und nicht militärische Erwägungen zu entscheiden hätten. Wer politisch 
richtig operiert, dem kommen fast immer, das trat auch hier hervor, Fehler 
seiner Gegenspieler zugute.
	        
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