BISMARCK GIBT SICH KEINE BLÖSSEN 91
durchdrungen von der Richtigkeit der horazischen Warnung: Vis consilii
expers mole ruit sua, die nicht von der Vernunft geleitete Kraft bricht in
sich selbst zusammen. Bismarck ging mit einer Energie vor, wie sie die
preußische Politik seit dem großen König nicht mehr betätigt hatte. Aber
er war auch bestrebt, sich alle Vorteile zu sichern, vermeidbaren Gefahren
auszuweichen, ungünstige Zwischenfälle nach Möglichkeit zu verhindern,
die öffentliche Meinung der Welt für sich zu gewinnen.
Als Frankreich, England und Rußland eine Konferenz vorschlugen, um
den Ausbruch des Krieges in Deutschland zu verhindern, wurden die Pläne
und Absichten des preußischen Ministerpräsidenten durch diese Inter-
vention natürlich auf das empfindlichste durchkreuzt. Nichtsdestoweniger
nahm er die Einladung zur Teilnahme an Friedensberatungen in
Paris mit Empressement an. In einem Rundschreiben an die königlichen
Vertreter in Paris, London und St. Petersburg erklärte er, Seine Majestät
der König von Preußen schließe sich den Gefühlen der drei Höfe von Paris,
London und St. Petersburg an. „Sehr gern‘ nehme er den Vorschlag der
drei Mächte an. Die preußischen Bevollmächtigten in Paris würden sich
mit den Vertretern der drei Mächte in Verbindung setzen, um mit ihnen die
verschiedenen Fragen zu besprechen, die in diesem Augenblick den Frieden
Europas bedrohten.
Mit Schaudern und mit Schmerz denkt der Patriot daran, wie verschieden
im Unglückssommer 1914 das Verhalten der damaligen Reichsleitung war.
Bismarck wollte 1866 den Krieg, wie ein gewissenhafter Arzt unter
Umständen einen chirurgischen Eingriff für nötig hält. Aber seine Taktik
war so umsichtig, so vorsichtig, vor allem so geschickt, daß er sich keine
Blößen gab. Im Sommer 1914 wollte die deutsche Regierung gewiß nicht
den Krieg, ebensowenig das deutsche Volk. Aber Bethmann und seine Mit-
arbeiter operierten so ungeschickt, daßsie uns mit der Schuld am Kriege zu be-
lasten schienen. Anders Bismarck 1866. Trotz des Drängens der militärischen
Instanzen, obwohl der große Moltke erklärte, der Sieg hänge vom schleu-
nigsten Losschlagen ab, bestand Bismarck darauf, die Einladung zu den
Friedenskonferenzen in Paris nicht abzulehnen. Von der Bedeutung der
Armee für Preußen und Deutschland war niemand mehr durchdrungen als
Bismarck. Er hat sich vom ersten bis zum letzten Tage seiner Amtsführung
als preußischer Offizier gefühlt. Er hat das treffende und schöne Wort ge-
sprochen, daß ohne die Armee das Deutsche Reich weder zu errichten
gewesen wäre, noch aufrechtzuerhalten sei. Trotzdem hielt er immer an
dem Primat der Politik fest, d.h. daran, daß letzten Endes politische
und nicht militärische Erwägungen zu entscheiden hätten. Wer politisch
richtig operiert, dem kommen fast immer, das trat auch hier hervor, Fehler
seiner Gegenspieler zugute.