Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Strelitz 
antipreußisch 
102 SADOWA 
Der Sieg bei Königgrätz wirkte wie ein Donnerschlag in der Welt, in 
Europa und vor allem in Deutschland. „Crolla il mondo!“ rief der päpst- 
liche Staatssekretär Giacomo Antonelli, als er die Nachricht erhielt. Die 
Überraschung, die selbst für diesen gewiegten und schlauen Staatsmann die 
Wendung von Sadowa bedeutete, entschuldigt bis zu einem gewissen Grade 
den Mangel an Voraussicht, den Napoleon gezeigt hatte. Der Eindruck von 
Königgrätz war vielleicht noch stärker als vier Jahre später die Wirkung 
von Sedan. Gewiß, Sedan war dramatischer, großartiger, aber der Sieg von 
Sadowa war noch unerwarteter. Am Sonntag, der auf den Tag von Sadowa 
folgte, betrat Pastor Seiler, der mich vier Monate früher konfirmiert hatte, 
die Kanzel mit den Worten: 
„Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret, 
Der uns auf Fittichen des preußischen Adlers sicher geführet.““ 
Ich vernahm das Rauschen dieses Fittichs zum erstenmal in voller 
Stärke, aber für mein ganzes Leben! 
Anders als in Preußen war die Stimmung in Mecklenburg, wo ich die 
Sommerferien verbrachte. Seiner ganzen Weltauffassung entsprechend, 
hatte mein Vater, bei aller Freundschaft für Bismarck, die Sprengung des 
alten Bundes durch den preußischen Ministerpräsidenten schmerzlich be- 
klagt. Aber. er war ein zu klarer politischer Kopf, er besaß einen zu sicheren 
Blick für Realitäten, um sich in den Illusionen zu wiegen, die der mecklen- 
burgische Adel und vor allem der blinde Großherzog hegten. Die Situation 
lag in Strelitz anders als in Schwerin. Der Großherzog Friedrich Franz 11. 
von Schwerin, ein Neffe des Königs Wilhelm von Preußen, stand nicht nur 
mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen auf preußischer Seite. 
Dagegen teilte sein Minister Oertzen alle Vorurteile der Mecklenburger Feu- 
dalen gegen den mächtigen norddeutschen Staat, der ihnen, trotz Bismarck, 
zu liberal, zu modern und zu militärisch war. Der Strelitzer Großherzog 
Friedrich Wilhelm sprach nur von den „greulichen‘“ Preußen. Mein Vater 
hinderte ihn aber, diesen seinen Empfindungen so weit die Zügel schießen 
zu lassen, daß er dabei Krone und Land verlor. Mein Vater dachte nie in 
engen Formeln, er hatte Sinn für die lebendigen Zusammenhänge der Welt 
und besaß die Fähigkeit, die Kräfte gegeneinander abzuwägen. Mit anderen 
Worten: er war ein Staatsmann. Die antipreußische Stimmung in Strelitz 
war so stark, daß sogar eine Hofdame von preußischer Herkunft, die 
Baronin Marie von Bülow-Wendhausen, eine geborene Gräfin Wartens- 
leben, von ihr ergriffen wurde. Täglich erklärte sie bei Tisch den bei ihr ver- 
sammelten Freunden, das Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz müsse dem 
revolutionär gewordenen Preußen den Krieg erklären. Bis schließlich ihr 
uralter Kammerdiener, der hinter ihrem Stuhle stand, mit breitester
	        
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