DIE LOGARITHMENTAFEL 1ıl
bewahren kann. Es tut mir im übrigen herzlich leid, daß Du diese an-
strengenden Tage, in denen Du die wohlverdienten Früchte redlichen
Fleißes einernten solltest, durch diese Episode Dir verdorben und so große
Sorge durchzumachen gehabt hast. Ich hoffe aus Deinem verständigen
Briefe schließen zu können, daß Du Dich nun wieder beruhigt hast und dem
mündlichen Examen mit gutem Mut entgegengehst, um so mehr, als Du ja
einen großen Beweis des Wohlwollens Deiner Lehrer gehabt hast. Ich hoffe
noch, daß Du durch ein recht gutes Examen die Note im Abgangszeugnis
etwas wirst mildern können. Mama sagt Dir die herzlichsten Grüße. Die
Sache ist ihr natürlich auch recht leid gewesen, und Du weißt, welche Ab-
neigung ihre wahrhafte und pflichttreue Seele von jeher gegen die Durch-
steckereien u.s.w. der Scholaren gehabt hat. Es tut ihr aber auch so leid,
daß Du, der ihr auf der Schule soviel Freude gemacht hat, diese unan-
genehmen Tage durchzumachen hattest, und sie hofft sehr, daß Du Dich
nun ausruhst und stärkst. Noch eins, mein lieber Sohn. Ni fallor hast Du
stets eine gewisse Neigung zu dümmerlichen und leichtsinnigen Mit-
schülern gehabt, die Dich mit Renommisterei oder dergleichen anzogen.
Ich weiß nicht, ob der Examinand mit dem dummen Namen zu dieser
Kategorie gehörte. Aber ich möchte Dich jetzt, wo Du selbständig ins Leben
trittst, doch recht dringend bitten, Dich an die tüchtigen, ordentlichen und
in ihrem Umgang Dir förderlichen Juvenes zu halten statt an die schwachen
Brüder. In alter Liebe B.B. Die gute Frau von Engel in Strelitz ist, vier-
undneunzig Jahre alt, gestorben. Sie hatte die große Französische Revolu-
tion, die Epopöe von Napoleon, Maria Theresia, Katharina II. und Königin
Luise erlebt.“
Ich trennte mich von Halle nicht ohne Wehmut. Gewiß, manches er-
leichterte mir den Abschied. Es war einer der schönsten Augenblicke meines
Lebens, als ich meine Logarithmentafel verbrannte, mit deren Hilfe ich so
oft schwere Multiplikationen und Divisionen auf dem Wege einfacher Addi-
tionen und Subtraktionen gelöst hatte. So sehr mir der praktische Vorteil
dieses Systems einleuchtete, so blieb es mir innerlich geistig fremd, da ich
keinen Zahlensinn besitze. Ich bin während meiner Ministertätigkeit an der
Vorbereitung und Vorlage einer langen Reihe von Milliardenbudgets be-
teiligt gewesen und habe mich immer sorgsam auf ihre Vertretung im
Parlament vorbereitet. Zu eigenem Denken hat mich aber immer nur die
politische Seite der Finanzvorlagen angeregt, während ich das rein
Zahlenmäßige, Technische, die vorteilhafte Gruppierung der Aktiven und
Passiven und die sonstigen Bilanzkünste meinen ausgezeichneten Fachmit-
arbeitern überließ. Zu Jean-Jacques Rousseau sagte, wie er selbst erzählt,
eine liebenswürdige Venezianerin: „O Giacomo, lasciate le donne e studiate la
matematica!““ Ich empfand eine gewisse Neigung, cs umgekehrt zu machen.
Abschied
von Halle