Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DIE LOGARITHMENTAFEL 1ıl 
bewahren kann. Es tut mir im übrigen herzlich leid, daß Du diese an- 
strengenden Tage, in denen Du die wohlverdienten Früchte redlichen 
Fleißes einernten solltest, durch diese Episode Dir verdorben und so große 
Sorge durchzumachen gehabt hast. Ich hoffe aus Deinem verständigen 
Briefe schließen zu können, daß Du Dich nun wieder beruhigt hast und dem 
mündlichen Examen mit gutem Mut entgegengehst, um so mehr, als Du ja 
einen großen Beweis des Wohlwollens Deiner Lehrer gehabt hast. Ich hoffe 
noch, daß Du durch ein recht gutes Examen die Note im Abgangszeugnis 
etwas wirst mildern können. Mama sagt Dir die herzlichsten Grüße. Die 
Sache ist ihr natürlich auch recht leid gewesen, und Du weißt, welche Ab- 
neigung ihre wahrhafte und pflichttreue Seele von jeher gegen die Durch- 
steckereien u.s.w. der Scholaren gehabt hat. Es tut ihr aber auch so leid, 
daß Du, der ihr auf der Schule soviel Freude gemacht hat, diese unan- 
genehmen Tage durchzumachen hattest, und sie hofft sehr, daß Du Dich 
nun ausruhst und stärkst. Noch eins, mein lieber Sohn. Ni fallor hast Du 
stets eine gewisse Neigung zu dümmerlichen und leichtsinnigen Mit- 
schülern gehabt, die Dich mit Renommisterei oder dergleichen anzogen. 
Ich weiß nicht, ob der Examinand mit dem dummen Namen zu dieser 
Kategorie gehörte. Aber ich möchte Dich jetzt, wo Du selbständig ins Leben 
trittst, doch recht dringend bitten, Dich an die tüchtigen, ordentlichen und 
in ihrem Umgang Dir förderlichen Juvenes zu halten statt an die schwachen 
Brüder. In alter Liebe B.B. Die gute Frau von Engel in Strelitz ist, vier- 
undneunzig Jahre alt, gestorben. Sie hatte die große Französische Revolu- 
tion, die Epopöe von Napoleon, Maria Theresia, Katharina II. und Königin 
Luise erlebt.“ 
Ich trennte mich von Halle nicht ohne Wehmut. Gewiß, manches er- 
leichterte mir den Abschied. Es war einer der schönsten Augenblicke meines 
Lebens, als ich meine Logarithmentafel verbrannte, mit deren Hilfe ich so 
oft schwere Multiplikationen und Divisionen auf dem Wege einfacher Addi- 
tionen und Subtraktionen gelöst hatte. So sehr mir der praktische Vorteil 
dieses Systems einleuchtete, so blieb es mir innerlich geistig fremd, da ich 
keinen Zahlensinn besitze. Ich bin während meiner Ministertätigkeit an der 
Vorbereitung und Vorlage einer langen Reihe von Milliardenbudgets be- 
teiligt gewesen und habe mich immer sorgsam auf ihre Vertretung im 
Parlament vorbereitet. Zu eigenem Denken hat mich aber immer nur die 
politische Seite der Finanzvorlagen angeregt, während ich das rein 
Zahlenmäßige, Technische, die vorteilhafte Gruppierung der Aktiven und 
Passiven und die sonstigen Bilanzkünste meinen ausgezeichneten Fachmit- 
arbeitern überließ. Zu Jean-Jacques Rousseau sagte, wie er selbst erzählt, 
eine liebenswürdige Venezianerin: „O Giacomo, lasciate le donne e studiate la 
matematica!““ Ich empfand eine gewisse Neigung, cs umgekehrt zu machen. 
Abschied 
von Halle
	        
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