HORAZ IN SCHWEINSLEDER 113
zitierte nicht ohne Feierlichkeit den Vers, den Horaz an seinen Freund
Virgilius richtet:
„„Misce stultitiam consiliis brevem:
Dulce est desipere in loco.“
Seine Gattin konnte manches, aber Latein war ihr fremd. Sie bat, ihr
die horazischen Verse in unser geliebtes Deutsch zu übertragen. Mit immer
gleichem Pathos deklamierte ihr Gatte:
„Meng in weiseren Erust wenige Torheit ein.
Süß ist’s, schwärmen am rechten Ort.“
Sie lächelte. Es war jenes „‚Sourire feminin‘‘, das in einer seiner reizend-
sten Komödien Alfred de Musset behandelt. In dem Lustspiel „Il ne faut
jurer de rien“ macht der junge Valentin van Buck seinem alten Onkel klar,
was dieses weibliche Lächeln, ‚‚le sourire feminin“‘, in sich bergen kann. Ich
habe in späteren Jahren das Stück öfter in Paris gesehen, in der Comedie-
Frangaise. Thiron gab den Onkel van Buck, Delaunay den Neffen Valentin,
Mlle. Brohan die Baronin de Mantes und die hübsche Mlle. Reichenberg
deren Tochter Cecile. Wenn ich die Betrachtungen des Neffen van Buck
über das Sourire feminin vernahm, dachte ich an die freundliche Saale, an
meine Freundin, die sich gern von mir rudern ließ, und an ihren gelehrten
Gatten, der mir mit überlegener Miene die Lehre des Epikur in der Fassung
predigte, die ihr Quintus Horatius Flaccus gegeben hat. Sein Horaz steht
in meiner Bibliothek, sauber in Schweinsleder gebunden.
8 Bülow IV