Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

HORAZ IN SCHWEINSLEDER 113 
zitierte nicht ohne Feierlichkeit den Vers, den Horaz an seinen Freund 
Virgilius richtet: 
„„Misce stultitiam consiliis brevem: 
Dulce est desipere in loco.“ 
Seine Gattin konnte manches, aber Latein war ihr fremd. Sie bat, ihr 
die horazischen Verse in unser geliebtes Deutsch zu übertragen. Mit immer 
gleichem Pathos deklamierte ihr Gatte: 
„Meng in weiseren Erust wenige Torheit ein. 
Süß ist’s, schwärmen am rechten Ort.“ 
Sie lächelte. Es war jenes „‚Sourire feminin‘‘, das in einer seiner reizend- 
sten Komödien Alfred de Musset behandelt. In dem Lustspiel „Il ne faut 
jurer de rien“ macht der junge Valentin van Buck seinem alten Onkel klar, 
was dieses weibliche Lächeln, ‚‚le sourire feminin“‘, in sich bergen kann. Ich 
habe in späteren Jahren das Stück öfter in Paris gesehen, in der Comedie- 
Frangaise. Thiron gab den Onkel van Buck, Delaunay den Neffen Valentin, 
Mlle. Brohan die Baronin de Mantes und die hübsche Mlle. Reichenberg 
deren Tochter Cecile. Wenn ich die Betrachtungen des Neffen van Buck 
über das Sourire feminin vernahm, dachte ich an die freundliche Saale, an 
meine Freundin, die sich gern von mir rudern ließ, und an ihren gelehrten 
Gatten, der mir mit überlegener Miene die Lehre des Epikur in der Fassung 
predigte, die ihr Quintus Horatius Flaccus gegeben hat. Sein Horaz steht 
in meiner Bibliothek, sauber in Schweinsleder gebunden. 
8 Bülow IV
	        
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