„LEICHTEN HERZENS“ 131
wollten, wußte Bismarck die nicht durch unsere Schuld, sondern durch den
Hochmut und die Herrschsucht der Franzosen notwendig gewordene Aus-
einandersetzung in einer Weise herbeizuführen, welche die Einnischung
der anderen Mächte nicht herausforderte, sondern ihr vorbeugte, welche
die Imponderabilien, die schwerer wiegen als die materiellen Faktoren,
unserer Sache sicherte und damit der Armee die Bahn zum Siege freigab.
„C’est la diplomatie de Bismarck qui a fait du vrai les victoires allemandes
de 1866 et de 1870“, schrieb 1914, einige Wochen nach dem Ausbruch des
Weltkrieges Viktor Berard in der „Revue des Deux Mondes“. Letzten
Endes war es in Wahrheit die Diplomatie des Fürsten Bismarck, welche
die Siege von 1866 und von 1870 ermöglicht hat.
Am 15. Juli brachte der französische Ministerpräsident Ollivier in der
Französischen Kammer einen Dringlichkeitsantrag ein auf Bewilligung
eines Kredites von fünfzig Millionen. Seine Rede schloß mit den Worten:
„Es ruht auf uns eine schwere Verantwortung, aber wir nehmen sie
leichten Herzens auf uns. Jawohl, leichten Herzens, nämlich vertrauend
auf die Gerechtigkeit unserer Sache und überzeugt, daß dieser Krieg uns
aufgezwungen wird.‘ Dieses Wort vom leichten Herzen, vom „caur
leger“, hat, wie von französischen Geschichtschreibern und französischen
Staatsmännern immer wieder hervorgehoben wurde, Frankreich mehr
geschadet als eine verlorene Schlacht. Im Verlauf dieser meiner Denk-
würdigkeiten obliegt mir die schmerzliche Aufgabe, mich mit der
deutschen Politik vom Hochsommer 1914 zu beschäftigen, die an Ein-
sichtslosigkeit und Ungeschicklichkeit der französischen Politik vom
Hochsommer 1870 nichts nachgab. Am 4. August 1914, genau vierund-
vierzig Jahre nach der Entgleisung des französischen Conseilpräsidenten
Ollivier, erklärteim Deutschen Reichstag der deutsche KanzlerBethmann,
daß er mit der von ihm als dem einzig verantwortlichen Beamten im Reich
zugelassenen Verletzung der belgischen Neutralität zwar ein Unrecht
begangen habe, daß aber Not kein Gebot kenne. Am Abend des Tages, an
dem er solches von der Tribüne gesagt hatte, bezeichnete derselbe Bethmann
im Zwiegespräch mit dem englischen Botschafter einen von uns wie von
allen anderen europäischen Mächten unterzeichneten Vertrag als einen
Fetzen Papier, „a scrap of paper“, „un chiffon de papier‘. Man wird lange
darüber streiten, welche Entgleisung die schlimmere war, die des fran-
zösischen Ministerpräsidenten oder die des deutschen Reichskanzlers.
Sicher ist, daß beide, Emile Ollivier und Theobald Bethmann, ihren
Ländern unermeßlichen Schaden zugefügt haben.
g*