DER WELFENTISCH 133
meine alte Sehnsucht nach dem Rhein. Ich entschied mich nach kurzem
Besinnen für Bonn. Dann ging ich zu meinem Wirt und Arzt, Dr. Cohn.
Er sagte mir: „Sie sind kräftig und wohlgebaut, elastisch und zäh, an und
für sich jeder Anstrengung gewachsen, aber Ihr Halsleiden!‘““ Als ich ihm
erwiderte, daß ich das Risiko tragen wolle, meinte er: „Wenn Sie beim
Militär eintreten, werden Sie zunächst der Ersatzschwadron überwiesen
und bei ihr Garnisondienst tun. Ich nehme an, daß Sie schon in Bonn bald
eine akute Halsentzündung bekommen werden. Ziemlich sicher ist, daß Sie,
wenn Sie mit den anderen Kriegsfreiwilligen dem Regiment nachrücken,
im Felde von einer solchen befallen werden. Wollen Sie es wirklich darauf
ankommen lassen?! Nun, dann los! Sie haben in diesem Falle für immer
das Bewußtsein, Ihre Pflicht gegen das Vaterland erfüllt zu haben. Anderer-
seits würde Sie bis an Ihr Lebensende der Gedanke quälen, diesen großen
Krieg nicht mitgemacht zu haben.“ Ich bewahre diesem gütigen Arzt, der
nicht nur mein Halsleiden, sondern auch meinen Seelenzustand in Betracht
zog, ein dankbares Andenken.
Seitdem alle Zeichen darauf hindeuteten, daß unser Herrgott die Ab-
sicht habe, den Kriegsmantel blutigrot aus den Wolken herauszuhängen,
hatte sich das Aussehen von Bad Oeynhausen erheblich verändert. Die
wackeren Offiziere an unserer Table d’höte strichen den Schnurrbart und
sahen erwartungsvoll und freudig dem Kriege entgegen. „Wenn der König
läßt reiten, so freut sich jedermann“, hatte es schon 1866 geheißen. Die
große Mehrheit der Badegäste dachte ebenso. Auch in der Bevölkerung von
Oeynhausen herrschte ein patriotischer Geist. Eine Ausnahme machte nur
eine kleine Gesellschaft welfisch gesinnter Hannoveraner, die sich, seit die
Möglichkeit eines deutsch -französischen Krieges näherrückte, von der
Table d’höte abgesondert hatten, an einem besonderen Tische aßen, auf-
geregte Blicke und Worte untereinander austauschten und gelegentlich mit
den Gläsern in einer Weise anstießen, die, wie der alles beobachtende
Gesandte von der Schulenburg meinte, nicht auf loyale Gesinnung schließen
ließe. Der Lauteste unter diesen Welfen war ein Herr Albert Beckmann,
den ich neun Jahre später unter wesentlich anderen Umständen wieder-
sehen sollte. Im Juli 1870 war Beckmann noch ein welfischer Agent, der sein
Unwesen nicht nur in Deutschland trieb, sondern auch in Paris, wo er
sogar eine Zeitlang als Redaktionssekretär einer großen französischen
Zeitung fungierte. Beckmann ließ sich ebenso wie sein Gesinnungsgenosse,
der damalige hannoversche Regierungsrat Oskar Meding, der später unter
dem Pseudonym Gregor Samarow viel gelesene Zeitromane schrieb, bald
nach Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges von dem polizeilichen
Vertrauensmann des Bundeskanzlers, dem Geheimrat Stieber, gewinnen
und wurde nach dem Friedensschluß der Kaiserlichen Botschaft in Paris
Stimmungen
in Oeynhausen