Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Gespräch in 
der Eisenbahn 
134 LE COMTE DE 0. 
für besondere Aufträge zugeteilt, wo ich ihm sechs Jahre lang täglich 
begegnete. 
Ich verließ Oeynhausen, versehen mit zwei Rezepten des guten Dr. Cohn 
für den Fall einer akuten Halsentzündung. Ich darf schon hier sagen, daß 
ich während des ganzen Krieges keinen Gebrauch von diesen Rezepten zu 
machen brauchte. Das verdanke ich in erster Linie der Gnade Gottes. Ich 
möchte darin aber auch einen Beweis dafür erblicken, daß Luft und 
Bewegung die besten aller Medikamente sind. An der Bahn begegnete ich 
dem Grafen O., der über Köln nach Paris zurückkehren wollte. Er forderte 
mich auf, mit ihm zusammen zu fahren. Graf O. war der typische Franzose 
aus der Zeit des Second Empire: lebhaft, mitteilsam, voll Selbstgefühl, ein 
Fanfaron, naiv davon überzeugt, daß la belle France nicht nur von allen 
Völkern des Erdballs bewundert und angebetet werde, sondern daß ihr 
auch von Rechts und Gottes wegen die „‚preponderance legitime“ in der Welt 
gebühre. „Reine du monde, 6 France, ö ma patrie!“ hatte ein echt fran- 
zösischer Dichter, Beranger, schon vier Jahre nach Waterloo gesungen. 
Aber der Franzose der alten Zeit war bei allen seinen Schwächen und 
Feblern nicht ohne Bonhomie. Er hatte sogar Augenblicke, wo er groß- 
mütiger Handlungen und ritterlicher Gesinnung fähig war. Nachdem die 
Franzosen mit Hilfe von England, Rußland, Italien, Rumänien, Serbien 
und Portugal und schließlich auch von Amerika, also mit ungeheurer 
militärischer Übermacht, den Deutschen, der überdies politisch jämmerlich, 
ohne Energie, ohne Geschick geführt wurde, nach dessen vierjährigem 
heroischem Widerstand nicht militärisch besiegt, sondern durch plumpes 
Kraftaufgebot überwältigt hatten, kam nach 1918 unverhüllt die echte 
gallische Natur zum Vorschein, die der geistreichste Franzose, Voltaire, 
als eine Mischung vom Affen und vom Tiger bezeichnet hat. Graf 
O. gehörte der älteren Generation an, der Generation vor Poincare und 
Clemenceau, vor den Generälen Degoutte, de Metz und Mangin, die 
sich bemühten, dem General Melac nachzueifern, der unter Ludwig XIV. 
die Pfalz verwüstete und nach dem lange Zeit der Pfälzer Bauer einen 
bösen Hund zu nennen pflegte. Graf O. frug mich, sobald sich der Zug in 
Bewegung setzte, weshalb ich nach Köln fahre. Als ich ihm erwiderte, daß 
ich mich als Kriegsfreiwilliger melden wolle, meinte er gutmütig: „Mais, 
mon jeune ami, vous &tes f...u! Vous et votre armee et votre pauvre 
pays. Vous voulez resister a l’armee francaise? Mais c’est insense! Nous 
avons rosse les Autrichiens a Magenta et a Solferino. Nous avons 
rosse les Russes en Crimee. Nous aurions rosse les Anglais s’ils avaient 
ose se mesurer avec nous. L’armee francaise est invincible, tout le monde 
le sait.‘“ Er zog darauf seine Visitenkarte heraus, auf die er mit freundlichem 
und gutmütigem Ausdruck einige Worte schrieb. Er sei überzeugt, meinte
	        
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