NAPOLEONS KRIEGSERKLÄRUNG 135
er, daß ich mich brav schlagen würde. Er sei aber ebenso fest davon über-
zeugt, daß ich bald gefangengenommen werden würde, wahrscheinlich
verwundet, nach tapferer Gegenwehr. Für diesen Fall gebe er mir seine
Visitenkarte, auf der er mich seinen Freunden empfehle, deren er viele in
der französischen Armee zähle. Sie würden mich gut behandeln. „Ils seront
charmants pour vous!“ Obwohl Legitimist, hatte er eine hohe Meinung
von Napoleon Ill. Der sei der stärkste politische Kopf, „la plus forte t&te
politique‘, den die Welt seit Talleyrand gesehen habe. „Ah, c’est un rude
lapin! Il roulerait le diable lui-m&me.‘“ Dabei sei Napoleon III. von einer
jeder Eventualität gewachsenen, unheimlichen Energie, wie er dies am
2. Dezember 1851 bewiesen habe. ‚Il adu poilauc.., je vous l’affırme!“
Er erzählte mir mit gutem Humor, daß er die Kaiserin Euge£nie vor ihrer
Vermählung wohl gekannt habe. Er habe sie zu Rennen begleitet, auch mit
ihr und ihrer spanischen Mutter mehr als einmal im Cafe Anglais soupiert.
„Quand nous montions le petit escalier tournant, et qu’elle marchait
devant moi, je lui pincais les mollets qu’elle a, du reste, fort beaux.“* Auf
jeder größeren Station frug Graf O. den Bahnvorstand, ob es wirklich
Krieg gebe. Er erhielt von den stramm dastehenden Beamten nie eine
Antwort, was ihm gefiel. „Ils ont de la tenue et de la discipline, il faut le
dire. Mais ca ne leur servira ä rien. Pauvres gens!“
Endlich lief der Zug in die Kölner Bahnhofshalle ein, und wir begaben
uns, mein Pariser Freund und ich, in den Wartesaal, der gedrängt voll von
Menschen war. Zeitungsverkäufer boten Extrablätter aus, jeder wollte den
Inhalt wissen. Man rief: „‚Vorlesen, vorlesen!“ Ein ungewöhnlich großer
Mann, anscheinend ein Offizier in Zivil, stieg auf einen Tisch, entfaltete ein
Zeitungsblatt und las mit lauter Stimme: „Der französische Geschäftsträger
in Berlin hat dem Bundeskanzler die französische Kriegserklärung
überreicht.‘ Lautlose Stille. Dann hob der Vorleser beide Arme in die
Höhe und rief mit donnernder Stimme: „Seine Majestät der König, unser
lieber alter König Wilhelm hoch! Und immerdar hoch im Leben wie im
Sterben !“ Alles stimmte in den Ruf ein. Die Frauen weinten. Viele Männer
hatten Tränen des Enthusiasmus in den Augen. In einer Ecke des Saales
stand eine Anzahl Musikanten, offenbar eine Kapelle, die von einer Kirch-
weih in der Umgebung Kölns kam, wo sie zu fröhlichem Tanz aufgespielt
hatte. Mit der gleichen Stentorstimme rief der große Herr auf dem Tisch
den Musikanten zu: „Kapellmeister, die Nationalhymne!“ Und die
Nationalhymne wurde von allen Anwesenden gesungen, wie ich sie noch
nie hatte singen hören. Als das „Heil dir im Siegerkranz“ verklungen war,
sah ich mich nach meinem französischen Freunde um. Er war verschwunden.
Ich bin ihm später in Paris wieder begegnet. Er schien aber keinen Wert
darauf zu legen, auf unsere gemeinsame Reise von Oeynhausen nach Köln
Im. Kölner
Bahnhof