WUNDERLICH 137
nach Paris zugeteilt worden, wurde 1854 auf ein Jahr zur Preußischen
Gesandtschaft nach Frankfurt a. M. kommandiert und hatte den Prinzen
Friedrich Wilhelm von Preußen, den nachmaligen Kaiser Friedrich, auf
seiner Brautfahrt nach England begleitet. Er hatte mit der spanischen
Armee in Marokko gefochten, kurz, sich in der Welt umgesehen. Seit einem
Jahr, mit dem Charakter als Major, Eskadronschef im Königshusaren-
Regiment, hatte er das große Pech gehabt, einige Wochen vor dem Ausbruch
des Krieges gegen Frankreich sich bei einem Sturz mit dem Pferd einen
schweren Schenkelbruch zuzuziehen, weshalb ihm die Führung der Ersatz-
Eskadron übertragen worden war.
Der rote Schreckenstein stand in dem Ruf, er habe viel Glück bei
Frauen gehabt. Jedenfalls sah er mit kaum achtunddreißig Jahren aus wie
ein alter Roue. Doch sprach aus seinen Augen Geist und Energie. Er
empfing mich auf dem Sofa liegend, offenbar und erklärlicherweise in aller-
schlechtester Laune. Über seinem Sofa hing eine große Kopie der „Danas“
von Correggio, die erwartungsvoll dem Goldregen des Jupiter entgegen-
sieht. Der strenge Kunsthistoriker Wilhelm Lübke findet in seinem
„Grundriß der Kunstgeschichte‘, daß das Original, das in Rom in der
Galleria Borghese hängt, nicht weit von der Villa Malta, in Ausdruck und
Stellung einen Zug von Gemeinheit zeige. Der Kopie in Bonn war dieser
Zug jedenfalls eigen. Der Major forderte mich nicht zum Sitzen auf,
sondern begnügte sich damit, mir, der ich vor ihm stand, in wenig freund-
lichem Tone zu sagen, es meldeten sich jetzt so viele Freiwillige, daß er
weder Zeit noch Lust habe, die einzelnen Fälle zu prüfen, ich möge nur bald
wieder nach Hause fahren. Mit mehr Lebhaftigkeit, als meinem Alter und
meiner bescheidenen Stellung im Leben zukam, erwiderte ich, ich sei nicht
nach Bonn gefahren, noch dazu gegen den Willen meines Vaters, um mich
derartig abfertigen zu lassen. Einen Augenblick fuhr Schreckenstein auf,
dann aber sah er mich freundlich an, reichte mir die wohlgepflegte Hand,
an deren Fingern einige schöne Ringe blinkten, und meinte lächelnd: „Sie
gefallen mir, nichts für ungut! Können Sie reiten?“ Ich entgegnete, jetzt
natürlich in korrekter Haltung und in bescheidenem Ton, ich glaubte diese
Frage bejahen zu dürfen. „Na“, meinte der Herr Major, „dann werde ich
unsern alten Wachtmeister anweisen, Ihnen auf den Zahn zu fühlen.
Melden Sie sich in zwei Stunden bei dem Wachtmeister Wunderlich in der
Sterntorkaserne.‘“ Zwei Stunden später stand ich auf dem Kasernenhof,
nachdem ich mir rasch beim nächsten Schneider Stege an meinen Hosen
hatte anbringen lassen. Ich ritt dem Wachtmeister den Schwadronsgaul,
der schon bereit stand, im Schritt, im Trab und im Galopp vor, changierte
im Galopp, kurz, zeigte meine Reitkünste. Ich erbot mich auch, jede
Barriere zu springen. Wunderlich schien zufrieden. Er fragte mich, wo
In der Stern-
torkaserne