Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

General 
Blumenthal 
146 SEIN STABSCHEF 
ergreift die beiden Enden der Fahne und hält sie hoch in die Höhe. Eine 
Kugel wirft ihn zu Boden. Er rafft sich noch einmal auf und schreitet blut- 
überströmt dem Bataillon weiter voran, bis ihm eine letzte Kugel das Knie 
zerschmettert. Aber seine braven Königsgrenadiere stürmen weiter, ge- 
winnen die Höhe und kommen dem Feinde in den Rücken. Auf der ganzen 
Schlachtfront arbeiten sich die Truppen mit zähem Heldenmut vorwärts. 
Die Schlacht ist gewonnen und damit der erste Sieg in diesem Krieg. An 
das Sterbelager des Majors von Kaisenberg trat der Kronprinz, umarmte 
und küßte ihn. 
Wörth war der erste große Sieg in diesem Kriege, den Schlesier und 
Thüringer, Hessen und Westfalen, Bayern und Preußen, Württemberger 
und Posener gemeinsam erfochten. Sie haben damit der deutschen Einheit 
und dem Deutschen Reich endgültig die Bahn gebrochen. Als der Kronprinz 
am Abend der Schlacht an die einzelnen Regimenter heranritt und seinen 
Dank und sein Lob aussprach, rief ihm ein wackerer bayrischer Soldat zu: 
„Wann wia Eana Sechsundsechzig an da Spitz’n g’habt hätt’n, da war’n 
wia mit dena Malefizpreiß’n schon firti worn!“ Wahrheit und ein tiefer Sinn 
lag in dieser naiven Äußerung des tapferen Bayern. Erst nachdem Preußen 
die deutschen Stämme unter seiner Führung geeinigt und sie mit friderizia- 
nischem, mit militärischem Geist erfüllt hatte, waren aus den Besiegten von 
Langensalza, Kissingen und Tauberbischofsheim die Sieger von Weißen- 
burg und Wörth geworden. 
Als militärischer Berater stand dem Kronprinzen bei der Führung der 
3. Armee eine geniale strategische Kraft, der General Leonhard von Blu- 
menthal, zur Seite. Ihm gegenüber hatte der Kronprinz im Kriege von 
1866 bewiesen, daß seine Großherzigkeit auf der Höhe seiner Tapferkeit 
stand. Der General von Blumenthal hatte kurz vor dem Ende des Preu- 
ßisch-Österreichischen Krieges in einem Brief an seine Frau, eine Eng- 
länderin, dieser sein Herz ausgeschüttet, wie das ja zuweilen und nicht nur 
in hohen Stellungen mancher Ehemann tut. Blumenthal hatte in diesem 
Brief den Prinzen Friedrich Karl scharf kritisiert und hinzugefügt: Mit 
einem so eigenwilligen und störrischen Prinzen habe dessen Generalstabs- 
chef, der General Gustav von Stiehle, es nicht leicht, da hätte er, Blumen- 
thal, es besser. Der Kronprinz sähe ein, daß er selbst von Strategie nicht 
viel verstehe, und lasse sich willig von seinem Stabschef führen. Die Öster- 
reicher hatten die Feldpost, der diese Epistel zur Beförderung übergeben 
worden war, aufgefangen und sich das boshafte Vergnügen gemacht, den 
Brief des Generals von Blumenthal zu veröffentlichen. Blumenthal meldete 
sich, sobald er von der Veröffentlichung erfuhr, beim Kronprinzen, um sein 
Abschiedsgesuch einzureichen. Ohne ein Wort des Vorwurfs oder Tadels 
umarmte ihn der ritterliche Herr mit den Worten: „Ich habe den Brief,
	        
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