Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DER PARTIKULARISMUS 161 
In flammenden Worten appellierten die Liberalen Fischer, Völk, Edel, 
Marquardsen, Barth unter Hinweis auf die im Sitzungssaal vernehmbaren 
vaterländischen Zurufe der vor dem Sitzungsgebäude versammelten Volks- 
menge an deutsche Vaterlandsliebe und deutsche Ehre. Der Präsident Weiß 
unternahm einen letzten schwachen Versuch, die Debatte zu vertagen, .‚da 
die Beratung unter einer auf die Kammer geübten Pression vor sich gehe“, 
ließ aber nach kurzem Zaudern schließlich doch abstimmen. Der Ausschuß- 
Antrag Jörg wurde mit neunundachtzig gegen achtundfünfzig Stimmen 
abgelehnt, der Regierungsantrag mit hundertundeiner gegen siebenund- 
vierzig Stimmen angenommen. Als die Abgeordneten aus dem Stände- 
hause traten, wurden sie ebenso wie die anwesenden Reichsräte und Minister 
mit Jubel und Zurufen begrüßt. Jörg und seine näheren Freunde wagten 
sich, wie Hohenlohe beobachten konnte, zunächst gar nicht auf die Straße, 
sondern zogen es vor, sich erst nach Hause zu schleichen, als die Erregung 
in der Stadt sich gelegt hatte. Die Erste Bayrische Kammer, die einstimmig 
und ohne Debatte den von der Regierung geforderten Kredit bewilligte, 
gab damit ein schönes Beispiel vaterländischer Gesinnung und politischer 
Einsicht, dasin Deutschland wieim Auslande einen großen Eindruck machte. 
Ich möchte noch erwähnen, daß ein altes Mitglied der Ultramontanen 
Bayrischen Partei, der Historiker Johann Nepomuk Sepp, sich 1870 
von seinen bisherigen Genossen trennte und in Wort und Schrift für die 
nationale Sache eintrat. Der wackere Mann, der mich während meiner 
Kanzlerzeit wiederholt durch originelle und gutgemeinte Zuschriften 
erfreute, ist 1909, fast dreiundneunzig Jahre alt, gestorben. Kurz vor seinem 
Tode übersandte er mir sein Buch über eine von ihm unternommene 
Palästinareise, dem er als Motto die nachdenkliche Sentenz gegeben hatte: 
„Der Baum der Erkenntnis ist nicht der Baum des Lebens.“ Vor allem will 
ich mit patriotischer Genugtuung feststellen, daß dank der genialen Ver- 
fassung, die Bismarck dem deutschen Volke gab, dank auch der weisen 
Schonung, mit der er die berechtigte Eigenart aller Bundesstaaten und 
insbesondere die des zweitgrößten Bundesstaates zu behandeln wußte, 
Bayern in allen seinen Teilen, Altbayern wie Franken und die Pfalz, die 
Bayrische Volkspartei wie die Liberalen, während des Weltkrieges und 
insbesondere während der schweren Jahre nach dem Weltkriege in 
unentwegter Treue zum Vaterland gestanden hat. 
Die Erbsünde und der Erbfluch des Deutschen: der Partikularismus, 
hatte sich 1870 in Bayern klerikal vermummt, in Württemberg hielt er 
sich eine demokratische Maske vor. Der Führer der partikularistisch- 
schwäbischen Demokratie, Herr Karl Mayer, der Vorgänger und geistige 
Vater der zänkischen und rabulistischen Zwillingsbrüder Haußmann und 
des biederen, aber politisch unzulänglichen Vizekanzlers Friedrich Payer, 
11 Bülow IV 
Sepp 
Württemberg
	        
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