Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

NEUTRALITÄT NICHT OHNE BEDAUERN 165 
wie in der Schwarzenberg-Bachschen Zeit, von Wien aus regiert zu werden, 
oder sich ganz von Österreich zu trennen und dann im slawisch-rumänischen 
Meer unterzugehen. Der magyarische Stamm stünde und fiele mit dem 
neuen Deutschland. 
Die einschüchternde Taktik blieb nicht ohne Wirkung. Am 20. Juli 
richtete Graf Beust ein ostensibles Rundschreiben an die k.undk. Missionen, 
in dem es hieß: „Wenn es uns nicht gelungen ist, Europa und uns selbst die 
schweren Erschütterungen zu ersparen, welche die unvermeidlichen Rück- 
wirkungen des Zusammenstoßes zweier mächtiger Nationen sind, so 
wünschen wir mindestens die Heftigkeit derselben zu mäßigen. Zur Er- 
reichung dessen muß die k.und k. Regierung bei den jetzigen Konjunkturen 
eine passive Haltung und die ihr dadurch vorgezeichnete Neutralität 
bewahren. Diese Haltung schließt jedoch die Pflicht nicht aus, für die 
Sicherheit der Monarchie zu wachen und ihre Interessen zu beschützen, 
indem man sich in die Lage setzt, jede mögliche Gefahr abzuhalten.‘ An 
demselben Tage telegraphierte Graf Beust vertraulich an den österreichisch- 
ungarischen Botschafter in Paris: „Sie wollen dem Kaiser Napoleon und 
seinen Ministern wiederholen, daß wir getreu den Verpflichtungen, wie sie 
in den zu Ende vorigen Jahres zwischen den beiden Souveränen aus- 
getauschten Schreiben festgestellt sind, die Sache Frankreichs als die 
unsere betrachten und in den Grenzen des Möglichen zum Erfolge seiner 
Waffen mitwirken werden.‘ Als solche „Grenzen des Möglichen‘ wird dann 
in der strengvertraulichen Depesche die für Österreich gebotene Rücksicht 
auf Rußland bezeichnet. „Wir glauben, daß Rußland auf seiner Verbindung 
mit Preußen verharrt, derart, daß unter gewissen Eventualitäten die Ein- 
mischung russischer Armeen nicht als wahrscheinlich, sondern als gewiß 
anzusehen ist. Man möge sich darüber in Paris nicht täuschen: Die russische 
Neutralität hängt von der unseren ab.“ Es folgt dann ein Passus, aus dem 
die Angst des österreichisch-ungarischen Reichskanzlers vor seinen deut- 
schen Landsleuten in Zisleithanien wie sein Mißtrauen gegenüber den 
Magyaren in Transleithanien hervorleuchtet: „Wir dürfen nicht vergessen, 
daß unsere zehn Millionen Deutschen im gegenwärtigen Krieg nicht ein 
Duell zwischen Frankreich und Preußen, sondern den Anfang eines nationalen 
Kampfes erblicken. Wir können uns nicht verhehlen, daß die Ungarn sich 
sehr zurückhaltend erweisen werden, wenn es gilt, ihr Blut und ihr Geld für 
die Wiedergewinnung unserer Stellung in Deutschland zu opfern. Unter 
diesen Umständen ist das Wort Neutralität, welches wir nicht ohne 
Bedauern aussprechen, eine gebieterische Notwendigkeit für uns. Aber 
diese Neutralität ist nur ein Mittel, nämlich das Mittel, uns dem wirklichen 
Ziel unserer Politik zu nähern, das einzige Mittel, unsere Rüstungen zu 
vollenden, ohne uns einem vorzeitigen Angriff Preußens oder Rußlands 
Eine 
Zirkular- 
depcesche 
Beusts
	        
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