Gambetta
170 „KRIEG BIS ZUM ÄUSSERSTEN“
Gewiß stimmte ich aus vollem Herzen in den Jubel über Sedan ein, der
mich in Bonn umbrauste. Aber der Gedanke, daß ich nun voraussichtlich
nicht mehr an den Feind kommen würde, beeinträchtigte sehr meine
patriotische Freude. Ich schrieb an meinen Vater und bat ihn inständig,
sich bei dem Kommando der Ersatz-Schwadron dafür zu verwenden, daß
ich auf eigene Kosten und ausnahmsweise sogleich dem Feldregiment nach-
geschickt würde. Mein Vater schlug mir meine Bitte rundweg ab, was mich
sehr betrübte. Der stolze Patriotismus der Franzosen sorgte dafür, daß ich
noch Schlachtfelder kennenlernen sollte.
Nichts ist für die Erziehung der Deutschen zu nationalem Selbstgefühl
und realpolitischer Einsicht nachteiliger als die bei uns von Philistern aller
Bildungsgrade und in allen Stellungen oft gehörte spießbürgerliche Kritik
des von den Franzosen unter der Führung von Gambetta auch nach Sedan
geleisteten verzweifelten Widerstandes. In einer berühmten Stelle seiner
unsterblichen Rede vom Kranze rief Demosthenes nach Chäronea seinen
Landsleuten zu: ‚Nein, Athener, ihr seid nicht fehlgegangen, als ihr für
das Heil und die Freiheit der Hellenen allen Gefahren trotztet. Ich schwöre
es bei unsern Ahnen, die bei Marathon fochten, bei denen, die Platää in
Schlachtordnung sah, bei den Tapferen, die vor Salamis auf dem Meere
kämpften. Allen diesen Helden gewährte Athen die gleiche Ehre, gewährte
es gleichmäßig die Ehre des staatlichen Begräbnisses. Und so war es recht.
Denn die Pflicht braver Bürger hatten alle erfüllt, das Los des einzelnen
aber regelten die Götter.“ An diese herrlichen Worte des größten griechischen
Redners erinnerte in einem nach dem Tode von Gambetta in einem Pariser
Blatt veröffentlichten Artikel Xavier Charmes, der begabteste von drei
bedeutenden Brüdern. Der tapfere Widerstand, so schrieb Xavier Charmes
im Januar 1883, den, von Leon Gambetta geführt, Frankreich nach Sedan
geleistet habe, gebe den Franzosen das Recht, sich an Austerlitz und Jena,
an Sebastopol und Magenta zu erinnern und nicht an der Zukunft zu
verzweifeln.
Es war ein Akt der Pietät und der Gerechtigkeit, daß nach dem 1918
von Frankreich erfochtenen Sieg das Herz von Gambetta, der Frankreich
mit sich gerissen und die „guerre a outrance” proklamiert hatte, im
feierlichen Zuge nach dem Pantheon übergeführt wurde. Und mit Schmerz
und Scham sagt sich der Deutsche, wie anders bei uns nach dem Umsturz
von 1918 die Stimmung weiter, von pazifistischen Schwätzern und
utopistischen Narren verführter Teile unseres Volkes war. Gewiß: Ge-
schicktere Staatslenker, als es Bethmann Hollweg und Jagow, Michaelis
und Kühlmann waren, hätten schon 1915, dann 1916, 1917, selbst noch
1918 eine Gelegenheit gesucht und wohl auch finden können, zu einem an-
ständigen Frieden zu kommen. Aber für die Armee, die bis zuletzt focht,