DIE ENTHÜLLUNG DER „TIMES“ 173
Hertling lachte und schüttelte den Kopf. „Das gäbe ja Mord und Tot-
schlag“, meinte er. Alle Liberalen würden die katholische Universität
Ingolstadt als den Anfang einer bayrischen Sonnenfinsternis, als den
Triumph des Obskurantismus hinstellen. „Und eine freie Universität in
München? Ich möchte die Interpellationen hören, welche die Herren
Orterer, Schädler, Speck und Heim, und wie meine bayrischen Zentrums-
freunde sonst noch heißen, in der Prannerstraße in München an eine
Regierung richten würden, die sich so etwas herausnähme! Ausgeschlossen,
ganz ausgeschlossen !“ Prinz Franz Arenberg zuckte die Achseln: „Ihr wißt
eben alle nicht, was wirkliche Freiheit, was Toleranz ist. Vieles ist in
Belgien lange nicht so gut wie bei uns in Deutschland. Aber man läßt in
Belgien jeden nach seiner Fasson selig werden, besser als in dem Lande,
dessen König dieses Wort geprägt hat. Und darum ist das kleine Belgien
auch heute noch, was schon Talleyrand von ihm gerühmt hat: l’enfant
cheri de ’Europe!“
Das war und blieb Belgien. Die Großmächte hatten ihm ewige Neu-
tralität zugesichert. Am 20. Januar 1831 hatte die Londoner Konferenz
der Großmächte bestimmt, daß Belgien ein für sich bestehender, unabhängiger
Staat sein solle. Am 21. Mai 1833 war zwischen England, Frankreich und
Holland ein Vertrag zustande gekommen, dem sich die anderen Staaten
anschlossen und durch den Belgien auf alle Zeiten für neutral erklärt wurde.
Seitdem hatte Belgien in allen Streitigkeiten anderer Länder, in allen
politischen Stürmen, von denen Europa heimgesucht worden war, ge-
wissenhafte, strengste Neutralität beobachtet. Die Unabhängigkeit und
Neutralität von Belgien war eine der wenigen fundamentalen Prinzipien,
über welche die ganze Welt einig war. Alle Völkerrechtslehrer hatten sie
proklamiert und kommentiert. Alle Diplomaten wußten seit ihrem Examen
darüber Bescheid. Die Unverletzbarkeit der belgischen Neutralität war zur
Communis opinio aller politisch Gebildeten geworden. Es erregte deshalb
ungeheures Aufsehen und wirkte gleich einem plötzlichen Blitzstrahl, als die
„lIimes“ am 25. Juli 1870, wenige Tage nach der französischen Kriegs-
erklärung an Preußen, den Inhalt eines Offensiv- und Defensiv-Bündnisses
veröffentlichte, das Frankreich während der Luxemburger Angelegenheit
Preußen angetragen hatte und seitdem abermals heimlich antragen ließ.
Frankreich erklärte sich in diesem Traktat mit dem Beitritt der süd-
deutschen Staaten zum Norddeutschen Bund einverstanden, wogegen
Preußen ihm die Erwerbung Luxemburgs gestatten und eventuell ihm zur
Eroberung Belgiens gegen jedwede Macht beistehen müsse. Wie die „Times“
hinzufügte, hatte Preußen beide Male ein solches Anerbieten einfach ab-
gelehnt. Gleichzeitig publizierte die „Times“ einen Vertragsentwurf, den
der französische Botschafter in Berlin, Graf Benedetti, im Auftrag des
Napoleon III.
und die
belgische
Neutralität