Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Zwei Tage 
in Rouen 
196 DER PREUSSISCHE FRIEDLÄNDER 
erwähnt, daß die Wallenstein-Trilogie, Schillers unsterbliches dramatisches 
Gedicht, seine Lieblingslektüre war. Jedenfalls kopierte er den Friedländer 
gut, und alle, die unter ihm dienten und fochten, blickten auf ihn mit Ver- 
trauen und Ehrerbietung als auf einen großen General und ungewöhnlichen 
Menschen. Er hat sich durch die 1857 bis 1865 von ihm als Chef des Militär- 
kabinetts durchgeführte Verjüngung des Offizierkorps, später, von 1865 bis 
1866, als Zivil- und Militär-Gouverneur von Schleswig, noch später, im 
Deutsch-Französischen Kriege, als Sieger von Colombey und Noisseville, 
als Oberbefehlshaber der Ersten Armee, vor allem als Führer der Südarmee 
und Besieger von Bourbaki unvergängliche Verdienste um die Armee, um 
Preußen und um Deutschland erworben. Als Oberbefehlshaber der Okku- 
pationsarmee in Frankreich von 1871 bis 1873 behandelte Manteuffel die 
besiegten Franzosen mit einem Zartgefühl, das von der französischen Regie- 
rung und insbesondere von dem damaligen Präsidenten der Französischen 
Republik, Mr. Thiers, in gerührten Dankschreiben anerkannt wurde, an der 
französischen Grundstimmung uns gegenüber aber nicht viel änderte. Als 
Statthalter von Elsaß-Lothringen, von 1879 bis zu seinem 1885 erfolgten 
Tode, bewies der Feldmarschall, daß ein hervorragender General noch nicht 
ein guter Verwaltungsbeamter ist. Er hat dort durch Kokettieren mit den 
französisch gesinnten Elementen in den Reichslanden manches verdorben 
und jedenfalls weniger gut abgeschnitten als sein Vorgänger, Herr von Möl- 
ler, und sein Nachfolger, Fürst Chlodwig Hohenlohe. 
Am 6. Dezember schrieb ich aus Moulinot bei Rouen: ‚Liebste Eltern, 
Dienstag rückten wir in Rouen ein, anfangs rechnete man auf ein größeres 
Gefecht, die Franzosen zogen sich aber zurück. Die Mobilgarde, die noch in 
den Dörfern war, ergab sich meist ohne ernstlichen Widerstand und, wie es 
mir schien, bisweilen mit Vergnügen. Ich ritt mit Graf Beißel eine Pa- 
trouille, um die Verbindung mit der 16. Division aufzusuchen, was uns auch 
gelang. Ich ritt dann allein zurück, um es dem Major zu melden, auf der 
Chaussee lagen viele französische Waffen, Käppis und Uniformen, die sie 
wegwarfen, um sich dann als Bauern in die Dörfer zu stehlen, ohne daß 
ihnen jemand beweisen kann, daß sie die Waffen getragen haben. Sogar 
eine Fahne lag im Chausseegraben, von der ich mir zum Andenken das 
Fahnentuch abriß. Als ich zur Schwadron kam, war sie gerade in Darnetal 
eingerückt, einer Vorstadt von Rouen. Wir waren die ersten Preußen, die 
in die Hauptstadt der Normandie einrückten, zum großen Ärger der 
16. Division, die uns in Amiens zuvorgekommen war. Bald erschien General 
Goeben und ließ das 10., durch Kutschke berühmte Infanterie-Regiment 
sowie die Husaren an sich vorbeiziehen, mit klingendem Spiel und ent- 
falteten Fahnen, was sich sehr hübsch machte und den Franzosen sehr 
imponierte. Die Haltung der Bevölkerung war neugierig und kriechend. Am
	        
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