Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

25. Dezember 
Vormarsch 
nach Albert 
204 WEIHNACHTSABEND 
Ich verbrachte den Weihnachtsabend in einem ärmlichen Dorf, das 
‚Altonville hieß, einem Nest, wo immerhin im Gegensatz zu den zer- 
schossenen Dörfern an der Hallue die Häuser noch standen, wo wir in 
einem Keller einen größeren Weinvorrat entdeckten und Hühner requi- 
rierten, je einen Vogel für zwei Husaren. Im übrigen war unsere schönste 
Weihnachtsfreude der am Abend erlassene Befehl des Generals von Goeben, 
in dem unser Führer feststellte, daß die Schlacht vom 23. Dezember 
für die schwarz-weiße Fahne siegreich gewesen war. Ich dachte aber doch 
in Wehmut meiner guten Eltern, die in Berlin vor dem Weihnachtsbaum 
standen ohne ihre einzige Tochter, die ihnen am Anfang dieses Jahres ent- 
rissen worden war, ohne ihre beiden ältesten Söhne. 
Der Morgen des 25. Dezember brach an mit noch stärkerer Kälte und 
mit demselben eisigen Nordostwind. Mein im übrigen sehr ordentlicher 
Bursche, ein Ostpreuße namens Kühn, hatte meinen dicken Mantel im 
Marschquartier Bussy liegenlassen, so daß ich länger als eine Woche im 
dünnen Regenmantel reiten mußte. Meine Kameraden von der 1. Schwa- 
dron pflegten mir noch nach vielen Jahren scherzend zu sagen: wenn sie an 
meinen Regenmantel vom Dezember 1870 dächten, so fröre sie jetzt noch. 
Schon am vorhergegangenen Nachmittag hatte eine von Leutnant 
von Steinberg geführte Patrouille, in der ich ritt, festgestellt, daß die Höhe 
von Pont-Noyelles unbesetzt war. Erst bei dem Dorfe La Houssoye er- 
hielten wir Feuer. In der Nacht eingegangene Meldungen ließen keinen 
Zweifel über den beginnenden Rückzug des Feindes. Die um zehn Uhr in 
Daours eingetroffene 30. Brigade erhielt den Befehl, nach Albert zurücken, 
und trat auf dem linken Hallue-Ufer den Vormarsch über Pont-Noyelles an. 
Voran trabten die 1.und die 2. Eskadron Königshusaren unter der Führung 
des Obersten. Unser Ritt führte uns über das Gefechtsfeld der Franzosen. 
Wir konnten uns von der sehr starken Position überzeugen, die der Feind 
innegehabt hatte. Von der Wirkung unserer braven Artillerie zeugte eine 
große Anzahl Toter. Zum erstenmal sah ich unmittelbar nach dem Kampf 
ein mit Leichen bedecktes Schlachtfeld. Von einigen arg verstümmelten ab- 
gesehen, machten mir die Toten in keiner Weise einen häßlichen oder gar 
abschreckenden Eindruck. Auf den Gesichtern der Deutschen wie der Fran- 
zosen lag jener innere Friede, von dem Wallenstein spricht, als er die 
Kunde von dem Tode seines Lieblings, des Max Piccolomini, erhält: „Er 
ist der Glückliche! Er hat vollendet! Weg ist er über Wunsch und Furcht. 
Oh, ihm ist wohl!“ Und aus manchem deutschen Antlitz sprach jene Selig- 
keit, die Faust denjenigen beneiden läßt, dem der Tod im Siegesglanz 
den blutigen Lorbeer um die Schläfe windet. Ich will aber nicht ver- 
schweigen, daß, während wir am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages 
über Leichen ritten, ich trotz meiner kriegerischen Begeisterung der Engel
	        
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